HYPErLYNX 28.0: der hemdwechsel

"... öfter als die Schuhe die Länder wechselnd ..." (Bertolt Brecht: An die Nachgeborenen)

"... Ich bin nicht gern, wo ich herkomme. / Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre. / Warum sehe ich den Radwechsel / Mit Ungeduld? ..." (Bertolt Brecht: Der Radwechsel)

 

ich dusche mich nunmehr täglich

(seit geraumer zeit),

obwohl ich das selbst nicht für notwendig achte.

und wechsle jeden morgen das hemd.

nur meine wohnung,

in der ich nicht eigentlich wohne,

säubere ich noch zu selten

für unerwartete besuche.

man fragt mich, wie lange

willst du das provisorium

noch aufrecht erhalten.

und wechsle dennoch am morgen das hemd.

 

warum sehe ich

den fragen mit ernst entgegen?

 

ich achte auf mich,

so wie mir befohlen,

und dennoch ereilt mich achtung nicht.

befiehl mir, und ich gehorche,

es sei denn, ich soll nicht gehorchen.

und wechsle immer noch morgens das hemd.

verwechsle die feindschaft mit freundschaft

und gelte als gutmensch

bei allen.

 

doch wenn die hemden verbraucht,

wenn alle vorhand'nen

der schweiß der erfüllung

der forderung netzte,

dann leer ist der schrank

und staubig der boden

der wohnung, die ich nicht bewohnte.

 

und dennoch: am morgen

da wechselt mich das hemd,

da duscht mich die dusche,

da gehorchen mir die befehle.

und ich bin ein feind mir,

ein fremder im sauberen hemd.


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