archiv.08.2002
 

02.08.07.01:22:23
ögyr
unerwarteter untergang

es kommt unerwartet, es übermannt. er steht gerade zwischen den regalen des supermarkts, er geht dort, er schiebt den wagen. von epileptikern wird berichtet, sie hätten vorahnungen, hinweise, dass es jetzt kommt. es kommt heftig. es kommt am regal mit wein. er weint. er muss sich mühe geben, dass er nicht schluchzt. er weint. es ist abend. es kommen tränen. die rollen unter dem rand seiner brille hervor, die auf den wangen.knochen sattelt. sie rollen herunter.

warum weint er jetzt? ist es die anspannung, dieses flitz.gebogene und gebeugte gefühl den ganzen tag über? oder weint er auf das, was er kauft, was die zier seines wägelchens ist? wein.brand, zigaretten, fette knoblauch.wurst. ist es das alte lied, leben, dieser spiral.wurm in die tiefe, der anruft, hand.zahm klingelt, der sich meldet, jetzt hier zwischen den regalen, zur unpassendsten zeit? oder ist es einfach nur das aufgebrauchte gefühl, diese sonnen.blume, die nach paar.sonnen.tagen.blühen kurz vor dem welken noch einmal reckt. die blätter reckt. hat er seine tage? ist das blut.ersatz, der quillt, ein lymph.plasma? hormonell? ist das allergische reaktion auf den irrsinn, den er gegen den irrsinn veranstaltet, ejakulation des belze.herz.buben, doch nicht stechend den könig am kreuz? oder die königin?

oder ist das einsicht, plötzliche, dass er nicht mehr kann. dass er das alles nicht mehr kann. das alles und überhaupt und alles. dass sich berthold nicht meldet, der fühlung am geleitzug hat. bewässert das jetzt die rohre? fluten! fluten! geht man so unter?

natürlich geht er nicht unter. jeder untergang hat einen hang, an dem man sich emporkrallen kann. er muss sich kurz festhalten. am wein.regal. am roten, 12 prozent. mitter.nacht. am blut.für.dich.vergossen. am leib.für.dich.gegeben. am kreuz, das er nicht trägt. am zu schweren. an der leichtigkeit des seins. an sowas. an ihr. an dem gedanken an sie, an immer nur sie, und er weiß nicht, warum gerade sie. da weint er.

natürlich funktioniert der tauch.retter. bläst an. treibt ihn nach oben. an die oberfläche, wo er luft fasst. wo der ring ist. die rettungs.ring.treue. er ist schon nass. und er wird wieder trocken. er wird ’ne jungfer im nonnen.kleid, so trocken. so’n mönch wieder. das schwarze, das er trägt, das kleine schwarze. er ist der man in black, er ist der vögel.scheue. er ist die krähe am aas, der schnabel.held und flügel.lahme, die ikarus.inkarnation. er ist links.seitig gelähmt gerade. er geht rechts rum. er kreist. und er muss jetzt, nach der attacke, scheißen, ganz dringend scheißen.

aber auch das vergeht, das geht hin, verflüchtigt sich so schnell, wie er kam, mit großen tränen.fontänen eben. und dass sich das reimt. er bezahlt dafür. er zahlt an der kasse. das konto seiner zahl.kraft wird ja nie leer. er könnte sicher sein. der automat gibt ihm was, immer wieder. für krankheits.kauf. für den kauf von krankheit, den verlauf. er zählt den count.down.

das muss aufhören, denkt er.

er denkt. und wer denkt, der läuft davon. der dreht die runden. wie ein erhitzter, ein brennender, der darauf brennt. auf sie. auf überhaupt. ein durstiger, der seine tränen trinkt. der trinkt bis zum ertrinken. der kein maß kennt, keinen einhalt, nicht gebietet. ein beat, ein beatnik, ein heart.beat, der ihm jetzt so angenehm bis an die gurgel schlägt. so sturz.nüchtern schüttelnd und doch so trunken. besoffen davon. im gras. liegen jetzt. weinen. nicht weinen, nur schwitzen aus allen poren. ängstlich. gedehnt. geahnt, was dann kommt. wie das weinen weiß ist auf dem parkett, hingeweint im weit ausholenden tropfen. hingespritzt.

er schläft. er träumt. er wird nicht mehr. er träumt, wie das nichts mehr wird. wie das aussetzt. wie das in verhaftung geht. stenose. stent. er träumt und schläft mit dem traum. er penetriert. er macht dem traum den hengst. ein wilder weinender. ein wein.vergießer in der kirche, ein obladi.oblada.oblaten.schänder. da macht er loch rein, in das dürre brot. in den weizen, in das weinen.

er wacht. er wird nicht wieder. er will’s nicht wissen, nicht erwarten, was ihn erwartet. er will so stürzen, so unerwartet. so übermannt. er steht gerade, gereckt, er stützt sich auf das bücher.regal. er sieht die rücken. er sieht schrift auf den rücken. er klopft den rhythmus der sonette auf den rücken, der nicht wirklich da ist, nur verrückten scheint. als wär’ das. ist das ein rausch? ein rausch ohne mittel und ohne mit.leid? und ohne zweck? er ist ein heiliger, den nichts heiligt. er hört, wie mädchen unten auf der straße sagen, er hört das durch das offene fenster, dass sie jemand ficken soll.


02.08.18.05:23:34
ögyr
hepatitis c

ist’s diese krankheit, die mich treibt? ich gehe nicht mehr, wandle allenfalls. in ihrer wandelhalle. wann war es, dass zuletzt ich war so über beide tauben ohren schwer verliebt? ich kann von ihr, so blöd das klingt, nie meine augen lassen. ich will sie sanft berühren. und in diesem schüren findet’s mich inmitten eines feuers. versengen werd’ ich. und bedrängen sie mit meiner liebe. ich bin ein einziges verlangen. ich bin nichts mehr und werde endlich sein.

sie liegt, ich liege ihr, mein leib ist eine schwere. ich sehe, wie sie spreizt, dies dunkle aus sich raus, die scham. ich spiele dran und mach’ mich schwer. im wasser ist dies sein, dies meine schöne unter himmeln dieses sommers. noch nie war ich so ungemein. noch nie, so denk ich, war mein schrein so weit für eine und nur eine frau.

wo enkeln tod schon geht durch ihr gefieder, sing’ ich zu früh jetzt meine lieder. ich werd’ nicht mehr und würde dieses nicht mehr singen. zu spät ist’s dafür längst. wir sind schon viel zu sehr verliebt. verhandlung wäre hier das letzte, was uns rettet. verhandlung, was man wie nicht machen soll und was dafür so umsomehr. was man dürfte, was noch nicht. die körpersäfte in der flasche, dies sein bakterium. hab’ ich mich impfen lassen gegen das, wogegen einen keiner impft?

hepatitis c, die schlimme krankheit, die doch längst uns küssend weiß, wovon sie spricht. nicht schwangerschaft, die plötzliche, wär’ hier bedrohung, nur der speichelfluss am luftmatratzenen ventil. denn wo gefühl ist, will man sich nicht anstecken, nicht verrecken an dem gemeinsamen gewühl.

was küsse noch nicht sprechen, das ahnen wir. dass wir uns gegenseitig infizierten. dass wir den schnupfen immer nur gemeinsam hätten, zugekünftet, und einen kiff voraus der jeweils anderen.

der hals.schmerz, der sie würgt. und meine angelegentliche steifung, dies unwillkürliche, dem wir die willkür stellen in den weg. angesicht zu angesicht.

ich will sie. doch was will sie? was wird uns schmachten machen aneinander? und welcher weg geht durch und durch noch diesem tor?

gemeinsam werden wir erkranken. und speere schicken uns in unsre flanken. wir wüssten, was wir sind, wenn wir nur wären. wir wären gleichung unserer immunsysteme. und wäre wer, der unsre säfte testete, es wären gleiche keime drin. wir wär’n ein paar in unsrer flora. und fauna wären unsre därme. gleichzeitig kommende, anverwandte.


02.08.21.00:48:44
ögyr
An der Nadel

Violent Femmes (1982)

Ach, die Achtziger ... als die Parties noch weniger clean, weniger berechenbar waren, als aus einem Abend noch das werden konnte, was man am Morgen danach nicht mehr glauben konnte, obwohl man’s wollte. WG-Küchen, Nudelsalat mit sehr vielen Nudeln und ganz wenig Gemüse drin, Würstchenschnitze nur in Ausnahmefällen. Fladenbrot vom Türken nebenan, nicht aufgebacken, weil der Ofen kaputt war. Nach dem one and only Kasten Flens am Anfang gab’s nur noch Hansa-Pils aus der Dose. Irgendwann, es war sehr, sehr spät, also früh genug, legte dann jemand Violent Femmes auf. Alle sagten „Hey, Violent Femmes!“ Und alles war plötzlich fröhlich und gut.

Als schon schwerst vom vielen Bier und vielem Liebesdurst Angeschlagener lag man in einem verschossenen Sofa und sah sich glasig dieses Cover an: Ein kleines Mädchen in einem altertümlichen Rüschenkleid schaut durchs Fenster eines Tors, an dem die Farbe so punkig abblättert wie am WG-Wintergarten, und drückt sich dabei so „violent“ ans Fenster, dass man meint, sie wolle diesen Altbau endlich einstürzen.

Solchen Frauen machte man den Hof, energischen, die doch dieses Zarte, Mädchenhafte hatten, wild und doch so sanft. Wenn man dann diese Platte auflegte, das Debutalbum der drei Country-Folk-Punker aus Wisconsin, das genau zu diesen Frauen passte ... Wenn man Kerzen anmachte, ungeschickt, wie verliebte bunte, aber doch bisschen farblose Smarties eben so sind, und hoffte, dass die knapp 40 Minuten des Albums ausreichen würden, vom „Blister in the Sun“ ihrer superschönen Augen über ein „Kiss off“ und „Promise“ doch noch zum guten Ende eines gemeinsamen „Good Feeling“ zu kommen.

Dergleichen geschah und geschieht bekanntlich nur selten auf Erden. Und wieder allein hörte man sich besoffen an diesem fröhlichen Weltschmerz, der aus Gordon Ganos frotzelnder, straßenmusik-dreckiger Stimme so eindeutig sprach, wie man sich zu keiner Zweideutigkeit hatte hinreißen lassen, als man der „violent femme“ schon so nah und doch noch so fern war. Gestern. „Gone, Daddy, gone, the love is gone“. Und man beschloss, Gedichte zu schreiben, tolle, „violente“ – und dass beim nächsten Mal, morgen schon, gewiss alles besser würde.


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