„Nach einer anderen Sprache verlangen die ungeschriebenen Sätze“

Klavki – Notizen zu Werk und Biografie

Aus einem Artikel der „Kieler Nachrichten“ (Juni 2005) über das Erscheinen zweier Hörbücher: „Wir sind alle Instinktintellektuelle der Andeutungslehre“, „ein niemandsleibiger Wind, ein engelsgleiches Stundenglas in der Höhle der Zeit“ ... Klavki (ver-) dichtet. Klavki kam, las und siegte. Von neun Poetry Slams in Heidelberg bis Bremen – und Kiel – hat er sieben gewonnen, ganz spontan, eigentlich ganz unerfahren in der Szene. Ein Newcomer, wie er noch in keinem Buche steht.
Wer ist Klavki? Klavki heißt im Brotberuf Oliver Eufinger, ist 32, hat Frau und zwei Kinder. Klavki kommt aus Kiel. Aber dann studierte er in Rostock „das Übliche“, Philosophie und Deutsch auf Lehramt. Das heißt, er las, er brauchte keine Vorlesungen, er stopfte – „das ist jetzt bisschen wie Klischee“, sagt er – seine Rostocker Dachkammer und sich mit Büchern voll. Die las er, zwei Jahre lang. Dann war klar: Er muss schreiben, denn „es gibt in der Literatur noch viele offene Enden“. Und die wollen zu Ende geschrieben werden ...

Am Meer, dem Hort der wortrettenden Delfine ... (Foto: Frank Peter)

Vor allem aber gesprochen, denn „nach einer anderen Sprache verlangen die ungeschriebenen Sätze“, schrieb der Autor nicht nur, sondern schrie es auch auf seinen ersten Bühnen, denen des Poetry Slams. Obwohl in dieser jungen, innovativen Form der Literatur das gesprochene das geschriebene Wort aus seinen Fesseln löst, obwohl Klavki einen nach dem anderen Sieg in solchem Dichterwettstreit einheimste und obwohl es noch eine Weile dauerte, bis er sein zum Markenzeichen gewordenes „Slam-Kostüm“, eine grüne Trainingsjacke, ablegte, blieb er gegenüber dem oft nur auf Show-Effekt Getrimmten dieser Gattung skeptisch. Zu berechenbar erschienen ihm die Mittel, um dort Erfolg zu haben, gerade weil er sie selbst so virtuos wortspielerisch anzuwenden wusste. Denn nicht um effekthascherisches Wortspiel ging es ihm, sondern um etwas, was man vielleicht als „Sprachspiel“ bezeichnen könnte.

Klavki begriff das als jene neue Sprache, die er den noch „ungeschriebenen“ Sätzen verleihen wollte, wie auch den schon geschriebenen zurückgeben. So bediente er sich in seiner frühen Lyrik und Prosa ganz bewusst einer ausgefeilten Zitattechnik – oder wie es der oben schon zitierte Artikel mit seinen Worten sagt: „Wortschöpfung und dann zack-zack“, beschreibt Klavki das Schreiben für die Pop-Art des Slams, „Welt beschreiben durch Literaturwelten, die schon da sind“, seine Zitattechnik, das „Klauen, wo ich kann“. Denn „die Schatztruhen der Welt sind ausgeplündert, die der Literatur noch nicht“. Wo andere aufgehört haben, setzt Klavki an. Manchmal mit dem Brecheisen um ein Loch zu hämmern. Denn „wo ein Text steht, hat die Wirklichkeit ein Loch“, zitiert er Borges’ Magischen Realismus, der auch in seinen Texten schwingt, von deren Wortkringeln man sich fortwehen lassen kann in eine Gegenwelt des reinen, nicht angewandten Textes.

Doch zunehmend nahm Klavki nicht nur liegen gebliebene Fäden der Literatur(geschichte(n)) auf, sondern sponn aus deren Garn seine eigenen. Das nicht zufällig zunächst allein gesprochen in den Hörbüchern „Sprachkrümel“ und „Lippig leben ...“, seinen ersten – eben nicht schwarz auf weiß gedruckten – Veröffentlichungen, die im Sommer 2005 bei der Kieler Slam-Poetry-Agentur und später Verlag assembleART erschienen (und inzwischen weitgehend vergriffen sind).

Im Mai 2006 wurde Klavki auf Vorschlag des Literaturhauses Rostock und unterstützt vom Kulturamt Kiel vom Goethe-Institut der Kieler Partnerstadt Tallinn als einziger deutschsprachiger unter 23 Autoren aus 12 Ländern rund um die Ostsee zum 6. Nordic Poetry Festival nach Tallinn eingeladen. Dort las er – simultan übersetzt ins Estnische – u.a. neben den Literaturnobelpreisnominierten Inger Christensen und Jan Fossé in Kirchen, Galerien und Cafés.

Weitere „offizielle“ Anerkennungen seines Schaffens folgten im Frühjahr und Sommer 2007 mit je dreimonatigen Aufenthaltsstipendien des Landes Schleswig-Holstein im Kloster Cismar und des Landes Mecklenburg-Vorpommern im Rostocker Schleswig-Holstein-Haus, wo er u.a. an dem Romanmanuskript „Der Traumzeuge“ und der Gedichtsammlung „Zeitknirschen“ arbeitete. Auf der Leipziger Buchmesse 2007 las Klavki in der Reihe „Prosanova – junge Literatur aus Rostock“ aus seinem noch unveröffentlichten Roman „Der Traumzeuge“. Vorangegangen waren 2005 und 2006 bereits über 50 Lesungen in Schweden, Dänemark und Deutschland, u.a. bei der „Brandenburgischen Literaturnacht 2005“ zusammen mit Christa Wolf, bei „Peace of Art“ der Heinrich-Böll Stiftung Schleswig-Holstein, 2006 mit dem „Forum der 13“ (www.forum-der-13.de) in Kiel und im Rendsburger Nordkolleg, weiterhin u.a. mit Andreas Meier, Angelica Domröse, Jens Bisky, Arne Rautenberg, Jenny Erpenbeck sowie mehrfach im Literaturhaus Schleswig-Holstein und Literaturhaus Rostock.

Immer wieder suchte Klavki auch ungewöhnliche Vermittlungsformen für seine neue Art von Sprache. So etwa in Zusammenarbeit mit dem Künstler Marcus Meyer 2006/2007 das Projekt „Schrift im Land“, bei dem am Rande einer Autobahn kurz vor Kiel riesige leuchtende Lettern „botschafteten“. Die Installation wurde auch am Rande der Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm gezeigt. Bei „Take a Poem“ wurden kleine Schriftkarten mit epigrammartigen Sprachschnippseln in Kieler Kneipen und Kulturzentren ausgelegt – Literatur zum Mitnehmen (oder auch (Ein-) Sammeln). Um „Poesie im Alltag“ ging es auch in einer Textinstallation an der Kiellinie, bei der Klavki über 300 Texttafeln mit einzelnen Worten, Gedichten und Kurzprosa entlang etwa einem Kilometer der Kieler Fördepromenade als „Freiluftbibliothek“ befestigte.

Anfang 2007 wurde bei Klavki Krebs diagnostiziert, eine Krankheit, mit der und ihren (dichterischen) Folgen er sich in seinen Werken seit dieser Zeit vielfältig auseinandersetzte. Er begriff die Krankheit als „die Wunde Text“ und Sprache zunehmend als Akt des Sterbens, um in anderer, neuartiger Form wiedergeboren zu werden. Das umfänglich angelegte und leider unvollendet gebliebene essayistisch-lyrische Romanprojekt „Der Traumzeuge“ gibt davon reiches Zeugnis.

Die Matratzen- als Sprachgruft ... (Foto: Bevis M. Nickel)

Klavki starb am 4.4.2009 36-jährig und hinterließ ein umfangreiches Werk, das noch seiner Aufarbeitung und Edition harrt – denn „nach einer anderen Sprache verlangen die ungeschriebenen Sätze“.

(Jörg Meyer/ögyr / Christiane Kiesow, September 2012)

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