lern! denk! schieß!

14 sonette + 1 nachtrag

(1989/1990)

1


Erlesne Raritäten wir hier drechseln.

Vokabeln meißeln wir zu Statuetten.

Wie Spekulanten handeln wir mit Wechseln.

Wir zünden Feuerwerke in Sonetten.

 

Wir schmieden unsrer Klugheit schöne Ketten.

Wir sind Spione und die Polizei

in unsren Hirnen und den Kopffacetten,

denn nur die strenge Disziplin macht frei.

 

Wir logarhythmisiern Poeterey

und konzentrieren Gift in Sprachphiolen,

so wandelt sich die süße Spezerei

zu Hammer, Sichel, Zirkel und Pistolen.

 

Verdichtet Wort ist Dynamit, Granate,

und installiert im Kopf Securitate.


2


Wir sprechen nicht von mir, nein nur im Plural.

Wir sind für diese Sprache zu sehr einzeln.

Von Podien nicht, Balkonen, nicht von Kanzeln

verkünden wir, wohl schlau, doch klein an Zahl.

 

Indem man uns vereinzelt, marginal

uns nennt, ad acta legt in Särge, Zelln,

indem man uns in unsre Hirnparzelln

verschließt, Groteske armer Irren Qual,

 

und dumpf das freie Individuum

lobpreist, das endlich jenes Kollektiv

hinweggefegt, um wieder „Ich bin Ich“

 

zu plappern, münzt man unsre ’Iche’ um

zum „Wir“, zum Volk, das uns verachtet tief,

weil nichts an uns mehr unsren Zügen glich.


3


Verschleiert Angesicht zu Angesicht,

so sind wir wieder die Verbrecherkaste.

Wir graben uns in Untergrund mit Maske,

da oben Kerzenlicht den Strick uns flicht.

 

Ja! Jubelnd blöde euch die Fessel bricht,

die uns noch Einsicht und Vernunft verpaßte.

Ihr ahnet euch am Ziel, wenn das verhaßte

Regime ist aufgeknüpft am Freiheitslicht.

 

Doch glaubet nicht, daß Einheits-, Mauersturm

uns baumeln läßt nach solchem Wind am Galgen,

daß wir noch lächeln, leise um euch gurrn.

 

Ihr werdet euer abgeworfnes Joch verhurn,

gestapelt werdet ihr auf D-Markshalden,

noch während Kugelhagel uns durchsurrn!


4


Die Kamera verzeichnet nun, wie wirklich,

wie ungeheuer hinter Gittertoren

Parteiensippschaft schwelgte unverfroren;

sie hat das abgespiegelt und verbürgt dies.

 

Brokat und Pelz war dort Betrug, nicht Drillich.

Im roten Wein und Spezerei’n vergoren

hab’ man das Volk, das Wasser trank, belogen.

Die Lehre nicht, doch dies lernt es nun willig.

 

Nur gegen Adel revoltiert der Bürger,

drum muß dem braven solches so erscheinen:

das sind nicht Kommunisten, sondern Fürsten!

 

Hingegen ist solch Ehrlichkeit der Lügner,

wo man sich selbst will Prächte einverleiben,

wo schlicht man durstig ist nach gleichen Dürsten.


5


Vorm neuen Wachenhaus in Ost-Berlin

stehn zwei Soldaten mahnend Ehrenwache;

so stehen für Kanonenopfer Wache

Bediener der Kanonenbatterien.

 

Es wacht der Bajonette Disziplin,

und Trauer hat in Kugeln ihre Sprache,

solang der Mensch ist eine Handelssache

und Harmonie ersticht die Fantasien.

 

Am Grab der Opfer klagt der Mörder an,

was ihn zum Mörder macht und wie das Eisen

grad jene schmiedet, die ’s verachteten.

 

Seht diesen Widerspruch und fragt euch dann:

in welchem Schlachthaus dieser Welt erweisen

sonst Schlächter Ehre den Geschlachteten?


6


Hier seht die Gleichungen, die aufgestellt

und abgeleitet jeder Demokrat,

ja nicht nur das, sogar verwirklicht hat,

getreu dem Volk, das auf den Plätzen bellt:

 

Die Freiheit der Befreiten ist = Geld,

die Solidarität = gute Tat,

und Bankfilialen sind = Avantgarde,

heut hier = morgen in der ganzen Welt.

 

Erschreckt drum nicht: so gleich Jack in the Box

entspringt dem gleichnisreichen Care-Paket,

und frech zuckt die illusionäre Fratze.

 

Hier seht, die Gleichung löst sich paradox:

So ungleich wie schon eh dient der Prolet

dem Kapital als federnde Matratze.


7


Was eigentlich ist eine deutsche Mark?

Ein Blick von zweiunddreißig Stück Sekunden

auf einen Leib im Frauenkörpermarkt,

der achtzig Mark erhält für acht Stück Stunden.

 

Ersparnis für Kaffee, einhalb an Pfunden;

um diese eine deutsche Mark verbilligt

hat man Kaffee dem preisbewußten Kunden,

der mit der eingesparten Mark einwilligt,

 

daß sich die Ausbeutung für ihn verbilligt.

So jede Mark des Ausgebeuteten

an weitren Ausbeutungen sich beteiligt.

Dies ist, was eine Mark bedeutet, denn

 

die Mark gibt jene Macht dem kleinen Mann,

mit deren Hilfe man ihn knechten kann.


8


Beginnend bei der Wirklichkeit, dem Geld,

bekämpfend Irreales und Gefühl,

erforschend der Materie Kalkül,

erkennend somit, wem der Groschen fällt,

 

sehn nunmehr wir uns vor Gericht gestellt

und angeklagt, daß wir im Polsterpfühl

behaglich warm gesessen, denkend kühl,

wie solche Wahrheit nichts als Macht erhält.

 

Daß man entlarven will die Staatsräson

als Instrument der Ideologie

und daß man mit dem Kopf denkt statt mit Füßen,

 

ist schon ein Fortschritt jener Rebellion

zur Einsicht, daß die Dinge nicht sind, wie

sie scheinen, sondern stets mit List zu prüfen.


9


Wir sind einhundertvierundzwanzigtausend-

fünfhundertdreiundneunzig mal Pistolen,

so hell und hart und rein ist unser Wollen.

Wir sind das Projektil durch Köpfe sausend.

 

Maschin’pistolen sechsundsiebzigtausend-

fünfhundertzweiundneunzig mal empfohlen

dem Apparat, der denkt Detonationen,

den Kugeln, in geölten Läufen lauernd.

 

Denn Schwert und Schild ist Nitroglyzerin

der Logik, die der Demokrat, mit Pfeil

und Bogen artig hinzurichten trachtet.

 

Daß Taten folgen müssen, flüstert ihm

der Knall der Pulverladung ein, derweil

er nach Gedanken, die sind frei, noch schmachtet.


10


Indem, Genosse, du Metallen traust,

den Rechenschieber im Patronengürtel

auf Präzision von einem vierfach Viertel

du neonlichternde Gedanken baust,

 

verbindest du Gewalt von Stirn und Faust,

bist Einheitsfront von Hammer und von Zirkel,

damit die Faust als Feinmechanik wirke

und der Orkan dem Uhrwerk gleichend braust.

 

Nicht Teilung, sondern Einheit der Gewalten,

die kalkulierte zügellose Kraft,

die Explosion, die Verse spricht,

 

soll nun, Genosse, Hirn an Hand dir schalten,

damit, was Hirn erdacht, die Hand dir schafft,

die Faust entzündet in der Stirn das Licht.


11


Ihr sagt, wir handelten gewissenlos,

womit, Gewissenhafte, wahr ihr sprecht.

Wir sind gewissenlos und ungerecht.

Gewiß privat ist das Gewissen bloß

 

und unbedeutend einzelner. Denn groß

ist die Idee, ihr werden wir gerecht

als wissend Werkzeug, weder gut, noch schlecht,

gewitzt und listig, kühl und skrupellos.

 

Gewissenhaft mit Menschlichkeiten hurend,

verkehrend Ungerechtigkeit zu Tragik,

sind Liebe, Mitleid, Güte und dergleichen

 

der Menschenfeindlichkeit devote Tugend.

Drum dem Gesetz, das wahr wie die Mechanik,

der Logik, der Vernunft muß Tugend weichen.


12


Genossen, ihr habt Fehler nicht gemieden,

so wart ihr schlau, denn nur in Fehlern wird

das Richtige vom Falschen unterschieden.

Es denkt und lernt daraus, allein wer irrt.

 

Die Wahrheit, die in Fehlern sich verbirgt,

heraus zu präparieren mit Skalpellen,

und wie die Freiheit Unfreiheit bewirkt,

erfordert hunderte Gefängniszellen.

 

Man klagt euch an, daß ihr dem Ideellen

Verrat und schlimmen Schaden zugefügt,

verschweigend, daß der Macht, der materiellen,

das Ideal als Alibi genügt.

 

Verbogen in des Eisern Vorhangs Falten:

das richtge Leben gab es nur im falschen!


13


Das Wort und Ehrlichkeit sind uns enteignet,

von unsren Zungen bleckte der Verrat.

Was wahr und gut, das haben wir verleugnet,

verpestet war von Lügen jede Tat.

 

Man hängt uns auf und bindet uns aufs Rad

dafür, daß wir statt Freiheit Disziplin

verordneten dem Proletariat,

weil bitter ist, nicht süß, die Medizin.

 

Wo „Freiheit“ Not betäubt wie Aspirin,

wo solch ein Wort entschlüpft aus einer Flasche

wie das Gespenst im Märchen Aladin,

wo Freiheit fleißig dienend füllt die Kasse,

 

da helfen nur Verrat und kluge List

und finstre Zeiten über lange Frist!


14


Elegisch neigen wir hinab „das Haupt“,

des Hirns, der Schlauheit und Vernunft Galane,

denn des Sonetts metallene Fanfare

verstummt, und auch der Lorbeer bleibt entlaubt.

 

Doch, denen das Metall das Leben raubt,

die ihr euch einreiht in die Karawane,

die gegen die Idee der Roten Fahne

marschiert, euch, die ihr euch betrogen glaubt,

 

euch fordern wir, nicht jenen, sondern uns

zu glauben; lernt zu wissen, was ihr wißt,

seid mit der Not der Opfer einverstanden!

 

Was wir berechneten mit kluger Kunst,

den Widerspruch, verdichtet noch in List,

sollt ihr mit uns in Wahrheit nun verwandeln.


Sonett E.H. (Nachtrag)


Was mir von dir, wenn man mich fragte nun,

erinnerlich, ist eine Faust gereckt

schon schütter aus dem Bergwerk von Berlin –

so hieß man solcherlei im deutschen Eck.

 

Dich fegt man itzt, als seist der letzte Dreck

und habest letztlich einzufahren in den Ofen,

von deutscher wieder weißer Weste weg.

Ach, sowas kömmt, wenn’s „Volk“ spielt „Philosophen“.

 

Ich hab’s geahnt in längst geschriebnen Strophen,

daß solches nochmal kriecht aus völkschem Schoß,

welch’s dir ins Grab noch schickte die SS.

 

Ein später Sieg der ewig deutschen Doofen.

Da bleibt uns eins – von eigner Schuld nicht bloß –

nur noch: daß ich die Faust ja nicht vergeß.