Mo, 29.3.10 (Mi, 31.3.10, 6:32): Die Häme der Bohème

Wenn ich denn Epochen des Wir und des Ich vergliche, wenn ich denn Einzigartigkeiten der jetzigen gegenüber früheren Zweisamlebensformen aufzuzählen hätte, dann wäre es die, dass mit Lilly dies Bohème-Leben möglich ist. Dies in den Tag hinein, dies augenblickshafte, dem freilich die Widerstände der Arbeitskontinuitäten im Wege stehen.

Am Montagmittag, eben erst aufgestanden von den Matt-Ratzen, quillt das Mailfach schon wieder über von Erinnerungen an Versäumtes und Aufgeschobenes. Darob aber nur kurzzeitig die Panik des protestantischen Arbeitsethos. Die Häme der Bohème: Was du heute kannst besorgen, reicht auch noch bis morgen. Denn dazwischen ist die Nacht, die keine für niemand, sondern im Fall diesen Falles für die Arbeit ist.

Dennoch mein schlechtes Gewissen, dass ich die Zeit mit Lilly zu sehr durchfurche mit Arbeit, zumindest mit dem Klagen darüber, dass die Arbeit noch getan werden muss (“die Trauer der Arbeit, noch zu verrichten” war dafür früher mein intrinsischer, selbstverliebt eigenbrötlerischer Topos). Faszinierend gleichwohl, wie Lilly das “managet”, wie sie intuitiv weiß, wie man mich von diesem Weg der Tugend abbringt – auf den der Treue zu einem Lebensentwurf, den wir nicht erst entwerfen müssen. Er wirft sich von selbst aus der Geworfenheit.

Mit ihr immer wieder diese Momente der schlaflosen, weil (in aller Müdigkeit und Trägheit, die von der Leber her weht) aufblitzend wachen Aufmerksamkeit. Ich sitze am Schreibtisch und sie fliegt herein und wieder heraus – und ich erhasche nur den Blick ihres Ganges, an dessen Beschreibung ich noch werkle: Ist er feenhaft tanzend oder erdnah ätherisch? Unsere Bohème und ihre Bodenständigkeit. Wie sicher wir auf dem dünnen Eis gehen, weil wir einander vergewissern, dass wir schwimmen können. So vielleicht beschreibt es sich.

Snapshots von Glück. (Wahrlich, verliebt bin ich.) Sie schneidet mir die Haare und stellt sich dabei so gewieft ungeschickt an, dass ich mich danach im Spiegel wirklich bewundere. Die Zauberin, die mit ihrem Zauber nicht hinterm Berg hält, sondern ihn versetzt.

Der Traum des Vormittagsschlaf (immer wieder aufgewacht und auf den Zettel gescrabbelt) skizzierte indes Szenen für ein Off-Theater, kurzfilmig Flimmerndes, disparat:

– das davor des danachs (das olle “schon noch nicht”)

– bohämisches grinsen (gras / alices katze)

– der grad der augenöffnung des mönches, er drückte bereits beide zu, ließ keinen rückschluss auf das ausmaß und die bedeutung des gebeichteten zu

– hin und her und also ungezogen

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