Sa, 20.2.10 (So, 21.2.10, 4:01): Schlaumeyer

Die ganztägliche Müdigkeit weicht immer erst da, wo die Mythen der Müden schon längst schlafen. Denn wie wir wissen: “Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer.”

Nachts also mal wieder in Hochform, schreibend, layoutend, Dateien verwaltend. Nebenbei, während ich auf dem Mac links arbeite, läuft rechts das 3sat-Special zur Berlinale, das feuilletonistische Gelaber über Film. Fein. Gar nicht blöd. Nur so gewohnt.

Um Gewöhnung und deren Folge Ermüdung geht es auch im KN-Text von heute über die Spezial-Nacht der Wise Guys in der Ostseehalle (die jetzt voll doof “Sparkassen-Arena” heißt). Ich kille meine Darlings …

— snip! —

Klassische Klassenfahrt

Die Wise Guys boten Bewährtes bei ihrer bejubelten Spezial-Nacht in der Sparkassen-Arena.

Kiel – Nicht nur das Publikum in der fast ausverkauften Sparkassen-Arena braucht die auf drei Leinwände als gemeinde-chorisch-fröhliche Mitsing-Aufforderung projizierten Karaoke-Texte nicht. Wenn die Wise Guys eine Spezial-Nacht feiern, dann ist das ein riesiger A-cappella-Afterglow mit alten Hits, die jeder kennt, gerade auch der Rezensent, der das Quintett, vor einem Jahr aufgefrischt mit dem Gettorfer Gesangstalent Nils Olfert, schon seit einigen Jahren bei seinen Kieler Auftritten begleitet.

Letzterer Umstand ist keine unbedingt günstige Ausgangsposition, verleitet sie doch dazu, auch im neuesten Album der Wise Guys namens “Klassenfahrt”, das sie in Teil Eins und Zwei der Spezial-Nacht rauf und runter singen, einfach nur Klassisches zu entdecken: Wise Guys, wie wir sie kennen, wie wir sie lieben. Nicht weniger, aber leider auch nicht mehr. Neuzugang Nils Olfert passt sich so perfekt in die ausgeklügelten Arrangements ein, dass der “frische Wind”, von dem die Köln-Kieler meinen, er wehe, im Bewährten verhaucht.

Was ja nicht schlecht ist, wenn man so hochklassig klassisch durch die Stimmbänder – und nichts als solche – bewegte heiße Luft zu so perfektem “Vokal-Pop” zu verdichten weiß. Wenn die Beats wummern, als kämen sie aus intelligenter Elektronik, aber doch “nur mit dem Mund” gemacht sind. Wenn MC Dän mal wieder Liebe, Leben und andere Alltäglichkeiten in Texte gegossen hat, die so unwichtig sind wie eine “Mittsommernacht bei IKEA” und dann plötzlich wieder so berührend gewichtig wie die Verlustängste im Song “Lisa” über eine Tochter sich trennender Eltern.

Lange her, dass man für diese Art der Close Harmony, des Gesangs von fünf Freunden im Einklang und Einverständnis, noch werben musste. 1996 sangen die Wise Guys erstmals in Kiel auf der Krusenkoppel. “Wer war damals schon dabei?”, fragt Dän in der ebenfalls zum Ritual gehörenden Publikumsbefragung. Ein Dutzend Arme hebt sich unter Tausenden. Ist das Symbol für das schnelle Altern einer immer noch innovativen Band ins nur noch Klassische?

Berufungsjugendlich haben sie sich nochmal auf “Klassenfahrt” begeben, sind aber schon im Opener-Video als Besatzung der “U.S.S. Klassenfahrt” so “retro” wie die Besatzung des Raumschiffs Enterprise, dessen einstige Zukunftsvision längst die Gegenwart des Ewiggestrigen überholt hat, ohne sie einzuholen. Und doch sind sie so frisch – nicht nur “wegen dem Olfert”, dem die Kieler Lokalpatrioten karnevaleske Grußkamellen entgegenfiebern.

Richten wir uns einfach darauf ein: Ein Wise Guys-Konzert in Kiel ist ein Klassiker, zu dem wir klassenwallfahren. Der Kreuzzug ins Gefühl findet dennoch erfreulich canossa-gängerisch statt. Wundervoll, weil voll von echter Emotion, sind Balladen wie das heimliche Liebeslied “Mit besten Grüßen”, Tränen wahrhaftiger Rührung kommen einem beim innig fünfstimmig gesetzten Choral “Sorge dich nicht”. Da ist Poesie im Pop. Ansonsten gehen die Wise Guys auf Nummer Sicher und ernten dafür immer wieder Szenenapplaus in stehenden Ovationen, die die Mitsing-Nacht schon im regulären Programmteil vorwegnehmen. So sind Klassiker auf Klassenfahrt – ewig jung, weil schon so alt.

— snap! —

Man sagt mir nach, dass meine KN-Texte mehr über mich aussagen als über das von mir Beschriebene. Das könnte hier mal wieder stimmpfeifen, wenn nicht röcheln. Aber nur, weil ich mich fast trauernd an die Beschreibung wage. So ein melancholisches Gefühl wie in “Sorge dich nicht”. Ohne Lilly auf dem Sitz neben mir – wir am Pressepult im 3. Rang – wäre mir das zu einsam-professionell geworden. Für sie ist der Eindruck frischer, gleichwohl ähnlich distanziert wie meiner. Ihr Blick, den ich küsse.

Überhaupt wundervoll, sie seit Wochen dabei zu haben. Und dass sie mich dabei hat. Dabeisein (mehr noch als Zweisamsein). Zwischenzeitlich die Langeweile des mit Alltag Drohendem. Dann aber immer wieder dieses bohémeische Entweichen, dieses dem Herrgott den Damensattel Stehlen. Ist es anstrengend, mit ihr nicht “normal” zu leben? Ja, aber auch enervierend, dieses nie locker Lassen in ihrer dauernden Lockung.

Wäre ich Wise Guy, verdolmetscht Schlaumeyer, sänge ich Lieder darüber, über sie, in vollen Hallen. Allein, welche wären diese?

((BTW: Den Prag-Plan (auf den Sommer hin, die Jahreszeit der fliegenden Mini-Röcke’n’rolligs) nicht vergessen, sondern wiederträumerisch. Wir einen Monat bohämisch in der Stadt Kafkas und ergo kafkaesk. Wann, Lilly?))

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