Do, 11.2.10 (Do, 11.2.10, 23:40): SCHWANZLURCH

Die Angst vor dem noch nicht geschriebenen täglichen Text ist eigentlich eher die Angst vor dem auch noch nicht für morgen geschriebenen Text. Für heute wird einem schon was einfallen, zur Not “TEXT über TEXT”, aber was kommt morgen?

Die heutige Angst vor dem Text nicht von heute ist eigentlich die Angst vor dem Leben von morgen, vor dem wieder aufstehen vom Lager nach der Verfassung des Textes von heute und dessen Ablagerung im Netz.

So sinnierend flattert aus der Netznachrecherche zum jüngsten Brüller des jüngsten Brüllers des so genannten Literaturbetriebs, nämlich Helene Hegemanns Auftritt in der “Harald Schmidt Show”, ein Wort ins Word-Fenster, aus dem man was machen kann:

SCHWANZLURCH

Wie nämlich die fleißigen Feuilleton-Kollegen, bemüht, den “Fall Hegemann” einigermaßen ballflachhaltend in die Zeitungsspalten einzuschießen, artig recherchiert haben, ist SCHWANZLURCH die Gattung jener Axolotl, die Wunderkind H. einem literarischen Roadkill zuführt – um mal im Feuilleton-Sprech, also im Bild zu bleiben. Und: siehe da: Der SCHWANZLURCH aus Mexiko hat die Strategie herausevolutioniert, im Larvenstadium zu verharren und so ewig jung zu bleiben, was ja nun wiederum hervorragend zum “Fall Hegemann”, zum “Fall Literaturbetrieb” und zum “Fall Jungstars” passt. Okay, denke ich, mag sein. Mich fasziniert eher der kraftausdrückliche Klang des Wortes. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen:

SCHWANZLURCH

Das klingt einerseits stubenhöckrig hautbleich, andererseits irgendwie notgeil onatorisch-onomatopoetisch. Du meine Güte …

SCHWANZLURCH

Schwerst lurch-schlau ist auch Hegemanns “Geständnis” zu den Plagiatsvorwürfen, sie arbeite eben zeitkonform intertextuell. Das ist die einzig richtige Entgegnung auf einen Betrieb, in dessen Diskussionsstereotypen nur zu deutlich wird, dass es sich um eine Neiddebatte handelt à la: Schade, dass ich nicht auf diesen “Flow” gekommen bin, und umso besser, dass es ein anderer war, aber nicht die gehypte Hegemann. Sogar Kollege Florian Voß retourkutschiert im Forum der 13, die Hegemann habe schließlich bei jemandem abgeschrieben, der “nicht über eine Veröffentlichung im SuKultur Verlag hinausgekommen” sei. Subtext: War ohnehin Schrott, was sie gecopyt & gepastet hat – insofern …

Schwanzlurchgeil ist dennoch das Intertextualitätsargument, das der Hegemann aus dem eigenen, auf Zeitgeistlauschen getrimmten Kopf entsprungen sein dürfte, kaum als nachträgliche Rechtfertigung irgendsoeinem abgehalfterten Lektoratslurch, der ohnehin auf Worte wie SCHWANZ, nicht aber INTERTEXTUALITÄT steht. Der Text ist der Hirte, nicht sein Autor. Endlich jenseits von dem kleinbürge(r)nden Urheberrechtsgedanken mal einsehen, dass Texte Eigenleben haben, dass AutorInnen allenfalls ihre Erfüllungsgehilfen sind – oder Hebammen. Das auch gegen das Gegreine, dass sich im Internet alles kopieren lasse. Ja, hallo! Eben das ist das T(r)olle am Internet, am freien Fluss der Daten und Texte. Dass eben alles mit allem zusammenhängt und dass das sich endlich auch formal spiegelt.

Wahrscheinlich muss man aber ein SCHWANZLURCH sein oder etwas von ihm haben, von diesem Dauergelarvten, von der Einbürgerungsunwilligkeit ins Leben, wovon, so höre und lese ich (ohne ihn gelesen zu haben), ja auch Hegemanns Roman handelt.

Leider bin ich infolgedessen auch mit dieser schwanzlurchig pubertären Meinung natürlich nicht allein, hänge am Rattenschwanz all der mit mir das Lurchige Bekennenden. Aber egal, immerhin hat

SCHWANZLURCH

das heutige Textfenster bereits trefflich gefüllt.

Hoch leben die SCHWANZLURCHE, die Waschbären und die katzengleich durch den Schnee hüpfenden Lillies! Von letzteren wäre nämlich heute auch zu berichten gewesen. Vom Ausflug in die Stadt auf dem Flüchtchen vor der Putzkolonne, von Stöberstunden in Asia-Art-Läden, wo es nach Patchouli und Ayurveda duftet, und Buchläden, wo es nach Druckerschwärze schnuppert. Von Mäusen und Menschen im Zoogeschäft, wo wir die Futterratten aufgrund meiner feuilletonistischen Bedenken nicht rechtzeitig vor den hungrigen Schlangenmäulern retten konnten und wo, hätte mich das Wort schon früher gestreift, auch SCHWANZLURCHE in “Aquarien/Ovarien” zu beobachten gewesen wären.

Dieser Beitrag wurde unter d.day - keine nacht für niemand veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.