Fr, 5.2.10 (Sa, 6.2.10, 17:25): Textfelder

Aufwachend diesen Satzfetzen auf den Lippen und in den Fingern: “… als öffneten sich die scharen der dinge …”

Eher unpoetisch dann, auftragsmäßig abgezogen von chiffren, im KulturForum bei Guelma Lea. Was soll man noch schreiben über die hundertunderste Jazz-Singer-Songwriterin? Bisschen ratlos. Dann aber doch wider Erwarten recht flüssig Metaphern gehubert:

Frech geträumte Balladen

Guelma Lea und ihr Trio spielten im KulturForum eigensinnig mit Jazz-Standards und eigenen Songs.

Gleich mit dem Opener im etwas spärlich besuchten KulturForum beweist Guelma Lea Eigensinn in mehrfacher Hinsicht. Keiner der Jazzstandards, an denen sich Hörgewohnheiten und eine Sängerin ihre Stimme aufwärmen könnten, sondern ein eigener Song von ihrem letzten Album “Going With The Flow”. “Dreamin'” titelt das Gute-Nacht-Lied aus dem Schattenreich balladesker Emotionen, das Lea jedoch ganz frei von bluesigem Pathos singt, eher auf eine boppig-freche Weise entspannt.

Ein Song fürs “Laying back”, doch das mit angespannten Gefühlsmuskeln, lasziv wie eine Bar-Ballade und doch lebenserfahren abgeklärt, wenn Lea die Schatten der Liebe jagt wie Schimären, die vor dem inneren Ohr zwielichternde Gestalt annehmen. Im Rückblick auf das Konzert möchte man dieses hemmungslos “coole” Sezieren eines Gefühls als den größten Wurf des Abends nehmen, enthält er doch bereits alles, was Guelma Leas Gesang und Jazz-Singer-Songwriting ausmacht, die später (un-) artig abgespulten Standards als eigenwillig und die eigenen Lieder als Standards von morgen erscheinen lässt.

Ganz und gar kein Wiegenlied ist somit auch “Lullaby Of Birdland”. Schon aus der Feder von George Shearing war der Titel ironisch gemeint, welche Brechung Lea verstärkt, indem sie mit der Stimme eines frechen Mädchens singt, etwas rau, keck, nicht ohne verführerische Absicht. Genau in diese widerständige Kerbe schlägt auch ihr Trio, das die rhythmischen Fußangeln aufdeckt und den Zuhörer gleichwohl immer wieder in die harmonisierte Falle tappen lässt. Überhaupt sind Leonid Volskiy und sein kantiges Tastenspiel, Martin Drees am oft ins Funkige tendierenden E-Bass und Jerry Demons auf in ihrem zurückhaltenden Einsatz erstaunlich druckvollen Drums weit mehr als das übliche Begleittrio. Auch sie wachträumen sich im positiven Sinne respektlos durch Stil- und Klangfarben und legen selbst in Balladen wie “You Go To My Head” erfrischende Tempi vor, auf welchem frechen Fauteuil Guelma Lea sich nachdenklich räkeln kann.

So ist man sich als Hörer auch nie ganz sicher, von wem das Widerborstige etwa im Standard “You Don’t Know What Love Is” ausgeht. Sind es Volskiys bluenotige Skalen und Hakenschläge auf dem Piano oder Leas in abgeklärter Laszivität beinahe gelangweilter Gesang? Eine zeitgemäße (Neu-) Interpretation des Songs, die Ella Fitzgeralds im Blues verschleierte Wut über den unkundigen Lover mit der postmodernen Ratlosigkeit über das Verschwinden der ganz großen Gefühle mischt. Gerade auch in den eigenen Liedern, etwa dem schnippisch schwebenden “Volatile”, versteht es Lea, aus der Grundstimmung der Desillusion die großen Gefühle neu zu destillieren. Erst indem wir nicht mehr wissen, was Liebe ist, können wir sie wieder leben.

Natürlichkeit wiederersteht aus ihrer Dekonstruktion. Nat King Coles “Nature Boy” wandelt sich so vom urwüchsigen Naturburschen zum urbanen Typen, der mit seiner Natur zu haushalten weiß, “Summertime” wird statt zwischen Baumwollfeldern im Neonlicht der Großstadt empfunden, und die “One Note Samba” findet sich zwischen raspeligem Rap und swingendem Scat statt in der Latin-Lounge wieder.

Kunst über Kunst wird daraus freilich erst, wenn man die Textfläche als Fläche mit Grauwert sieht. Dazu kleine Collage, die Bildidee dazu kam im Dämmer des Halbschlafs während einer länglichen Ballade.

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