Mi, 27.1.10 (Do, 28.1.10, 1:53): Steppenwölfinnen

Lilly bringt von ihrer Expedition in die verschneite Kaufhausstadt Hesses “Steppenwolf” mit. Wir lesen uns abwechselnd daraus vor. Zwischendurch den Käfig der Rättlein ausgemistet. Die Rättlein währenddessen zappelnd am Badewannenboden, eine Geste aus Verzweiflung und unbändigbarer Neugier. Später sitzen sie im neu beheuten Heim auf Ebene Zwei, schleppen behende Futter ins Häuschen, einen Teil verzehren sie gleich dort oben. Nach dem Fraß jedes in seiner Ecke eingerollt und von Verdauung träumend. Tritt man heran, heben sie ihr Näschen. Ehrfurcht vor dieser vegetativen Existenz, vor dieser instinktiven Beschränkung auf das Wesentliche, die Mühsal der Lebenserhaltung.

Harry Haller, das Gehirntier, berichtet ähnliches und vergleicht sich mit dem zauseligen, streunenden Wesen. Verortet sich im Karst, in der Steppe, in der unerträglichen Weitigkeit des Seins. Die Rättlein über das weiße Emaille der Badewanne kriechend, während wir ihren Stall säubern. Blick ins Häuschen, auf die Schlafplätze, die sie mit Heu und Papierfetzen ausgepolstert hatten. Ein Zimmer: die Speisekammer. Die Weisheit der Vorratshaltung, offenbar haben sie ein Bewusstsein von Zukunft, davon, dass das Ende nicht nahe ist, dass man überdauern muss (soll und darf) bis zu ihm.

Durchhalteparolen.

Etwa die Zigarette auf dem Balkon, in Pantoffeln, den Mantel schräg zerknöpft über das Schlafanzügliche geworfen, den Blick ins stöbernde Schneerieseln vor der Rathausturmkulisse. Zweisamer Wolf. Träte man an das Balkongitter, könnte man die Rät(t)erepublik ausrufen. Das bliebe folgenlos – nur deshalb machbar, nur deshalb nicht gemacht.

Zurück in die Rattenrepublik Roman, aus der versäumten in die erzählte Zeit. Erkannt, wie wichtig Erzählen ist. Kein kunstvolles Zubrot, sondern eisern-eisige Ration für die Zukunft des noch nicht Erzählten. Erzählen macht die Vergangenheit für die Zukunft urbar. Wie es dabei so seltsam minutiös die Gegenwart ausspart – und das Ich, das zwar der Form nach Erzähler sein kann, aber immer in der Geste des “Er” und/oder “Sie” distanziert.

Lilly und ich verlieren uns bisschen in der angestauten Nähe, die Distanz negiert. Was würden wir als Wir-Erzählerin von uns erzählen? Ließen wir die dynamische Statik der sich zum Verhaltensrepertoire differenzierenden Sexrituale beiseite? Berichteten wir eher deren Ausbleiben, was so automatisch geschieht, wie wir uns nicht davon erzählen? Das Steppenwolfpärchen im Minimalrudel, Revierkämpfe unnötig, weil einander genügendes Futter. Wir richten uns ein, nicht aneinander aus. Eben das schafft labile Zwischenzustände, Vorstufen des Erzählbaren, nicht zählbare Minuten. Ich koche ihr an der Herdstelle Kartoffeln und Spinat (der “mit dem Blubb”). Erzählt wurde, dass das ein gesundes Essen sei. Wir sind welche, die dem Erzählten Glauben schenken. Beobachte sie, wie sie die zerstampften Kartoffeln mit dem Spinat vermengt und dann einverleibt. Ein wunderlich trautes Bild von Heimat, fast schon Metapher der instinktiven Versorgung des Selbsts.

Durchhaltephiolen.

Als Steppenwolf ist es schon ein Gewinn, ein Lebensbeweis, wenn man diese Zweisamkeit aushält. Dass man nicht mehr flieht in die Einsamkeit (außer der aus Schlaf – und hier im Text), sondern einander nötig hat. Gemeinsame Notdurft.

Jetzt beim dies Erzählen bin ich nicht einsam, nur äußerlich, innerlich hallt ihr gesunder Schlaf durch zwei Schiebetüren der Imagination. Die Wärme ihres Leibes ersetzt – selbst entfernt – die Heizung, ihr Atem im atemlos aufgegeilten Kuss stillt meine Luftnot.

Die Rättlein derweil haben sich im Karst der Holzebene Zwei einander eingekuschelt, die Schwänze verknotet. Unwillig öffnen sie die Äuglein, sperren die Verließe der Ohren auf. Sie sind untrennbar. Wie wir, dichtende Steppe und musische Wölfin.

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