Di, 26.1.10 (Mi, 27.1.10, 2:01): Füllfunk

Mal wieder grundsätzliche Zweifel am Projekt di.gi.arium. Was soll’s, wozu mache ich das? Zumal es sich träge hinschleppt wie die dauermüden Tage und Nächte. Warum schreibe ich etwas hinein, wenn es nichts zu schreiben gibt? Oder ich leihe eh nur aus, was an anderen Schreibplätzen entstand. Textabwurfstelle, Online-Kassiber.

Die Entdeckung des di.gi.ariums 2000 war die radikale Strategie der “ppp – pretty.public.privacy”. Inzwischen ist sie längst von den im Netz wuchernden Blogs überholt. Es gibt radikalere Konzepte – wie Hasan Elahis “tracking transience.net”. Elahi, ständig reisender Medienkünstler, wurde aufgrund seiner arabischen Herkunft vom FBI als Terrorismusverdächtiger verfolgt und musste, um diesen Verdacht zu entkräften, lückenlos dokumentieren, wo er sich wann aufgehalten hatte. Er machte Kunst daraus, im Netz kann man seit 2002 jeden Moment auf GoogleMaps sehen, wo er sich gerade aufhält, welche Flüge er benutzt, was er gegessen und welche Geldtransaktion er wo wann gemacht hat. Elahi füttert das Netz und das FBI live mit seiner “privacy”, schüttet die Ermittler mit Daten zu. Seine These: So entsteht wieder Privatheit, weil die komplette Veröffentlichung aller privater Informationen diese wertlos macht. Was alle wissen, ist nicht mehr wissenswert. Ein dialektisches Setting, wo die totale Öffentlichkeit wieder in Privatheit umschlägt, weil sie uninteressant für die öffentlichen Augen und Ohren wird. Das Alltägliche ist eben trivial. Und dadurch egal. Elahi macht die Ermittler nutzlos, weil sie nichts mehr zu ermitteln haben.

Interessant: Indem man total(itär) berichtet, wird der Bericht zur leeren Information, zum Füllfunk. Das hat poetologische, erzähltheoretische Implikationen: Offenbar wird eine Erzählung durch das interessant, spannend, was sie weglässt, ausspart, verheimlicht und so Andockstellen für die Fantasie des Lesers schafft. Was wiederum den allwissenden Erzähler voraussetzt. Oder den, der allwissend ist, indem er aus seinem Allwissen auswählt und so die Informationsvergabe kanalisiert, lenkt. Lässt man die Informationsvergabe überborden (Overflow), versinken die Informationen im eigenen Strudel. Eine Art umgekehrter Datenverlust durch Datenüberfluss.

Das merke ich auch an der eigenen Datensammelwut auf den Terrabyte-Festplatten. Selbst bei einigermaßen guter Datenpflege und Archivierungsstrategie verschwinden Daten dadurch, dass es zu lange dauert, sie aus dem steig wachsenden Archiv herauszusuchen. Beispiel von heute (und diversen gleichen Vorgängen ehedem): Ich layoute eine Anzeige lieber ganz neu, als sie aus schon layouteten Elementen früherer Anzeigenlayouts zusammenzubasteln, weil das neu Eintippen und Formatieren schneller geht als die Suche nach den Fragmenten bereits geronnener Arbeit. Oder beim manischen Archivieren von Filmen: Von manchen TV-Mitschnitten habe ich mehrere Versionen, weil es zu lange dauert, im Archiv zu forschen, ob ich den und den Film nicht längst aufgenommen hatte.

Das Archiv als schwarzes Loch, in dem die Daten verschwinden, indem sie hineingesaugt werden. Der Text nicht mehr als Hirte, sondern als Scheune der Vorratsspeicherung. Vielleicht hat das Projekt di.gi.arium2010 darin seinen Sinn, dass ich das Hirtenhafte, Vagabundierende der erzählten Daten wiederfinde, dass ich mir – wie hier ohnehin schon intuitiv geschehend – Strategien des Weglassens erarbeite – bei gleichzeitiger Perfektion des Füllfunks.

So also wiedermal hier, das hat sich füllfunkend erhalten, “TEXT über den TEXT”. Das Nach- und Auserzählen der Erzählung des Erzählten und des zu Erzählenden. Erzählung als Zusammenführung von Bytes aus den digitalen Zettelkästen – insofern wieder Epigon und Apologet von Schmidts “Zettels Traum”.

Beglückend und beruhigend auch, dass sich die wesentlichen, weil immer wieder auftauchenden Fragenkonglomerate, Forschungsgegenstände meiner Kunstausübung schon recht früh gestellt haben. Dass ich immer noch an den Antworten forsche, sie wieder und wieder reformuliere, mag Hinweis darauf sein, dass es wichtige Fragen sind.

(nach Diktat in Schlaftherapie vereist (sic!) 😉

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