Sa, 16.1.10 (So, 17.1.10, 5:23): Rendezvous der Freunde

Grünkohl(kochen)essen und Reinfeiern mit “den lieben Freundinnen und Freunden”. Alle eingeladen, fast alle gekommen. Außer den entschwundenen (). Im Feierabendheim Rathausstraße, von dem C.S. meint, es habe ein bisschen was von dem FDJ-Club auf der Grieser-Exkursion in die Ex (DaDaR) neunzehnhundert-x-undachtzig. Anlass, wie A.B. bonmotiert, meine Zugehörigkeit ab jetzt zur “Gruppe 47”. Um 24 Uhr angestoßen ganz klassisch mit Schaumwein auf den Jubeltag im FDJ-Heim “Rathaus”, beim Almauftrieb am “Kleinen Kuhberg”.

Es frühlinkt. Glückwünsche.

C.S. zitiert Honecker beim Staatsratsempfang: “Ich bitte zu trinken!”. Wir trinken. Und wo das irgendwo zwischen 70er-Partykeller, dem Empfang im besagten FDJ-Heim, an der Heimorgel DJ iTunes, am heimischen Herd “Ögyr kocht”, und der 90er Partykultur der für Loveparades und Rausch zu spät Gekommenen, die brav bibbernd auf dem Gletscherfeld vor der Balkontüre rauchen, changiert, ist es doch nicht mehr, sondern etwas anderes als die Summe dieser Klischees. Mir fällt schon am Nachmittag beim Einkaufen der Bierbatterie und hochgeistiger Getränke Max Ernsts Gemälde von 1922 ein: “Rendezvous der Freunde” (heute Museum Ludwig, Köln):

Beschluss bei der Bierbeförderung: Ich lichte sie alle so ab: In der Mitte selbstinszeniert der, dessen Freunde sie und damit einander gemeinsam sind, der “Dadamax”. Über ihm die Querschnittsexplosionszeichnung eines Auges, dessen Hornhaut konzentrische Keplersche Weltkreise tangieren. Oder sind es doch noch die Ptolemäischen mit der sonnenfinsteren Erdung im Mittelpunkt?

In der iTunes-Playlist fehlt eigentlich der Song von den Einstürzenden Neubauten, wo Blixa Bargeld (vgl. Gemälde “Rendezvous der Freunde”) singt: “Doch die Mitte meiner Kreise bin ich nicht.” D’accord. Seit die Sonne der Mittelpunkt des Universums ist, das in jedem und in jeder von uns seither konzentrisch tost, bin ich, der Jubiliar und Grünkohlgott, der Brennpunkt einer Ellipse, umrundet von den Freunden, mal im Aphel, mal im Perihel. Und der andere Brennpunkt dieser selbst ausfgespannten Ellipse ist Lilly. Wer bei mir gerade im Aphel ist, steht bei ihr im Perihel – und umgekehrt. Namentlich G.L.S., die sich an das Apogäum heranschmeißt, indem sie dem Perigäum ihre Gravitation eröffnet.

Schwerefelder in Levitation.

Und mitten drin in der Fotografie des “Rendezvous der Freunde”, das ich eigentlich auf der immer mitgeführten iPhone-Kamera (und als Material hier fürs di.gi) “Gruppe 47”-mäßig nachstellen wollte, dann aber doch davon Abstand nahm (in den Aphel geriet und ging), der Gedanke, ich könne hier, im di.gi.arium, besser dichtend auf den Auslöser drücken. Was nicht minder schwerfällt, weil ich dazu nicht minder inszenieren müsste wie für die Spektralanalysekamera.

Literatur nämlich ist kein bildgebendes Verfahren, eher ein bilddeutendes. Das Gedicht ist der 9mal3-Abzug, nicht aber die Kamera. Tags zuvor hatte ich das Wort “Semaphor” geträumt. Geweckt zum Glücksglühwurstkauf auf dem Wochenmarkt (mit Lilly vor jener Fleischtheke geglückt geknutscht, an der ich mich einst in Verzweiflungspose gedichtgeknippst hatte), noch schlaftrunken hatte ich es gewikit: “optischer Zeichengeber” … Winkalfabet …

Zwischen den Winken der Freundinnen und Freunde, verstohlen bis “hosen’türl’offen”, schlendere ich mich hin und her zwischen Heim und Herd, die Kochnische meiner Freundschaft. Und beobachte beglückt, wie sich die Rendezvous der Freunde ereignen. Wer mit wem plaudert, wer wen abtastet, startrekkisch scannt. A.B. schreibt in Glückwunschmail, dass sie ungern “zu dem Harem” zähle. Ich indes monadisch monogam, lillylytisch. Phrygisch, nicht mehr lydisch kirchengetonartet.

Hätte ich dazu Bildmaterial sammeln wollen, dann höchstens mit der iPhone-Web-Weberknecht-Cam, wie die Bewegungen der Planeten um die zwei Sonnen sind, Lilly und mich.

Im Geschwirr der Gespräche, dem Netzwerken, ziehe ich mit ihr den Stecker, verschwinde im (nicht hinter dem 😉 Text und hinter dem Kühlschrank, wo wir uns küssen. Inniges der Himmelsmechaniken. So leiblich, bin ich dennoch teilweise noch der theoretische Physiker, der gebloggte Nerd, der Statistik der dynamisch-dialektischen Statiken betreibt. Wer geht, wer bleibt? Was geht, was bleibt? Zugabezettbe: “drei-undvierzig”.

Semaphore, Winkelemente im FDJ-Heim “Rathaus”.

D.K. rückt mit einem ganzen Paket aus Datenträgern vor auf Perihel, ohne über Aphel zu gehen, zieht nicht 4000 MB ein, sondern aus der Tacheles-Tasche. Multimediamonoply jener Links, die man setzt, wenn man jemandem wie mir Filme schenkt. Seine DVD-Sammlung hat etwas von den Mixtapes, die man früher Freunden aufnahm, um sie beim Rendezvous abzuspielen. Inszenierung von Festplattenkörperschwerkräften.

Und mittendrin fange ich semaphorische Signale auf, die in Gesichten aufflackern. Die Weichen gestellt zur Abbiegung des betrachteten Abbildes. M.L. manchmal mit diesem traurigen Blick der Desillusion, den Physiker haben, die einst neu zusammenstellen wollten, was die Welt im innersten zusammenhält, nun aber zentrifugal ankommen im Brotjob, der mit Kunst nur noch zu tun hat. H.S., eben zurückgekehrt aus dem “Du bist mein Afrika”-Korps, über den “Modder”, der sich nicht nur in Kenia im Januar nach starken Niederschlägen bildet, mit den traurigen Augen hinwegblickend, als streife der Blick nur zum Horizont, um ihn als Tellerrand zu begreifen, hinter dem die Welt doch bloß eine Scheibe ist, gefolgt vom Abgrund. Und E.E., die ostwärts geht, weil dort die Sonne wieder aufgeht, für Klavki im Aphel R., für mich (in Nachfolge) im Perihel G.

Im derart behindertengerechten Klo meines Wassers abschlägig werdend überkommt mich plötzlich dieser seltsame Mix der elliptischen Gefühle: Ich bin den Freunden nah, indem ich mich von ihnen entferne – und (wie immer) umgekehrt. Und all das in dieser FDJ-Stube. “Bau auf, bau auf …!” Ich singe leise, während ich rieselschwerefeldere, dies olle Lied. Es heißt nichts, es bedeutet nichts. Und deshalb sagt es mir was im Rendezvous der Freunde. (E.N., Blixa Bargeld: “Was ist, ist, was nicht ist, ist möglich …”)

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