Mi, 13.1.10 (Do, 14.1.10, 5:05): Winterschlaf

Nichts passiert? Doch sehr viel …

Heute praktisch den ganzen Tag verschlafen. Den Wecker als Instrument der Vor-Stellung verwendet. Im Schlaf aufgegeilt und fortgesetzt müde. Aufwachunfähig.

Um 12 auf, wieder hingelegt, um 15 auf, wieder ermattet, um 17 endlich auf. Das Licht des Tages verschlafen. Nachtschattengewächs nacktschattiert. Geduscht. Eingekauft.

Nackt, entblößt das akzeptieren, dass ich das bin. Auf den Grund gebracht darauf wichswichtigtuerisch gründelnd.

Mein hündisch ergebenes Fletschen zuweilen, wenn ich spätnachmittäglich vor dem Badezimmerspiegel stehe, die Zähne zu putzen, wenn andere abendmahlen.

Bücher sind angekommen. Zwecklos, sie zu bestellen, weil ich eh nicht mehr lese bei all dem Schreiben. Dennoch festgelesen in einer Boybiografie von Lou Andreas-Salomé. Wie wird man Schriftstellerin? Aus einem Übermaß an Fantasie. Das dampfkesselnde Gefühl, dass etwas raus muss. Daher auch der fortgesetzte Schreibimpuls trotz Schrei(b)hemmung. Beides zusammen führt zu Wissenschaft und Winterschlaf.

Nachts mit Lilly chattend Austausch der Missverständnisse, die eben dieses tiefe gegenseitige Verständnis ausmachen, so meine dialektische Theorie (zum x-ten Male Brecht zitiert: “Die Widersprüche sind die Hoffnungen”, jedoch erstmals erlebt, statt nur nachgedacht). Wir inszenieren das geradezu. Und stellen fest, dass der Chat buchenswert wäre. Oder auch nicht, weil man den Augenblick dem Augenblick lassen sollte, dem Enstehen sein einbeschriebenes Vergehen nicht rauben.

Die Entsagung, die Hamlet sagt …

Sowieso seit Tagen auf dem Heiner-Müller-Hamletmaschine-Tripp, gekürzt im Bruch einer Bierbank. Wer ist Ophelia? Ich bin Ophelias Prinzprozent. Müllers lebendiges Gespräch mit den Toten, die er als Triebkraft der Geschichte begreift. D’accord im Rekurs auf di.gestern und aktuelles Herzchen-Gedicht:

— snip! —

summende summe

eins und eins macht nicht zwei,
aus zwei wird eins.
ich, so sagtest du, bin auch dabei,
und ich, dass ich bin deins.

das gesagte, der gesang,
verse enden ungesagt, erahnt
im nichts aus dann und wann,
gesungen dennoch, was ihm schwant.

anfänge in den fängen, krallen
kratzaufgebäumtes männchenmädchenmachen.
wir würden nicht verhallen,
wenn wir uns kein lachen

zürnten und keine summe summten
zärtlicher der differenz.
was wurde dort, nicht hier gefunden,
ist währung einer insolvenz.

— snap! —

Traumgefügtes, Traumzerpflügtes und -gepflücktes. Dass man tagträumt und nachtwacht. Winterverschlafene Sprachnotizen auf dem iPhone. So verschlafen röchelnd die Stimme, dass die Silben verschwimmen. Das ausgeschrieben Ausgeschriene eilt dem nicht Aufgeschriebenen hinterher. Dichtung als Mangelverwaltung, Zettelwirtschaft, nachgeholte Revolution. Auf den Zetteln am Schreibtisch mönch-ver(sch)muste Selbstgesprächsnovizen wie “noch bis / seit her” oder “will nicht können müssen” oder “bedürfnisse nicht nur dürfen, sondern sollen”. Alles verKantete Imperative. Notiert allein hier, bevor der Zettel mit der nachgerade für platt befundenen Chiffre ins Altpapier wandert, das ich fahrbestuhlt in Stockwerk Minus-Einsam-Sein befördere, dort ausleere, wobei sich die Sedimente des Altpapierkastens umkehren. Die Gegenwart von eben oben in der Tonne, etwas von vor zwei Wochen, Zigarettenschachtel, ist der letzte Auswurf, der der erste sein wird. Ausgeraucht. “Ich übergebe der blauen Tonne die Schriftsedimente des …”

Er- und unverdichtet die meisten Zettel und so viele Viertelstunden, im Winterschlaf kaum unterscheidbar zwischen bloß geträumt und wach verschlafen.

Guten Morgen, sag’ ich der Guten Nacht. Und DIR.

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