So, 4.7.10 (Mo, 5.7.10, 3:01): Was bleibt

Ganztags für KN bei JazzBaltica. In meine Müdig- und Schläfrigkeit scheint immer wieder Augenohrenöffnendes. Daher zum 20. Jubiläum der JazzBaltica wie folgt jubiliert (nachtstarr, tippverhindert lange):

— snap! —

Der Blick geht nach vorn

Der JazzBaltica-Sonntag huldigte den Großvätern wie den Enkeln des innovativen Jazz.

Salzau. Das ist nicht bloß Pfeifen im Walde, wenn Rainer Haarmann, künstlerischer Leiter und angesichts von Kürzungsplänen glühender Verteidiger der JazzBaltica, in der Salzauer Konzertscheune die Parole ausgibt: “Wir werden kämpfen bis zum Umfallen! JazzBaltica muss bleiben!”. Tosender Beifall. Auf den überall kursierenden Listen haben bis Sonntagnachmittag schon rund 1.500 der insgesamt 7.500 Zuhörer für den Erhalt “ihres Festivals” unterschrieben. Kein Wunder, denn JazzBaltica zeigt auch am Jubiläumssonntag Innovationspotenziale, wie man sie in den vorherigen Jahren nicht immer angetroffen hat.

So beginnt der Sonntag auch nur scheinbar mit einem Requiem für den im Mai verstorbenen Hank Jones, der sich hier mit dem Basslyriker Dave Holland hätte wiedervereinen sollen. Einigen Druck auf die Tränendrüsen – samt einem als Reliquie auf der Bühne stehenden Glases eingemachter Pfirsiche, die Jones, wie die dazu vorgetragene Geschichte verrät, liebte – nimmt man hin, wenn hernach Dave Holland die Reunion fast im Alleingang spielt. Der selige Hank sitzt eh mit an den “Tasten” von Hollands pianistisch gezupftem Bass. Ein solches Genie ist eben unsterblich, weil es nachhaltig Maßstäbe gesetzt hat, die in seinem “Interface” genauso nachklingen wie in dem auch für die Zukunft von JazzBaltica programmatischen “We’ll Be Together Again”, von dem sich Jones immer gewünscht hatte, er hätte es selbst geschrieben. Mit McCoy Tyner, dem Sinfoniker des Bebop, sitzt für einen Kurzauftritt einer an den Tasten, der Jones ebenbürtig ist. Wundervoll einverstanden, aber einander auch kreativ belauernd gelingt Holland und Tyner eine Hank-Hommage, die den Blick zurück nach vorn richtet.

Ebenso kein Grund für Sentimentalitäten besteht, wenn das Trio Benny Green (p.), Martin Wind (b.) und Matt Wilson (dr.) sich mit den Saxofonisten Marcus Strickland und Chris Potter verbindet und Winds “The Last Waltz” so swingend und gleichzeitig “mellow” darbietet, dass man erkennt, warum Blues und Bop zwei Seiten einer ewig innovativen Medaille sind. Wo Green sich schon mal virtuos bis wütend exaltiert, wo ihm die Saxofone es wild-lüstern gleich tun, holen die Rhythmiker Wind und Wilson die Höhenflüge auf den Boden zurück, ohne ihnen die Flügel zu stutzen.

Letztere kultivieren der Vibrafonist und JazzBaltica-Recke Joe Locke und der junge Harfenist Edmar Castaneda. Der Augenschein bestätigt, was das Ohr nicht glauben mag: Castaneda hat tatsächlich nur zehn Finger. Nur wie macht er das, dass seine Harfe wie eine ganze Combo klingt – perkussiv, pianistisch, gitarrisiert und dazu noch mit sattem Bass-Continuo? Wahrscheinlich ist das einer dieser legendären JazzBaltica-Momente, von denen man noch nach Jahren sagen wird: “Ich war dabei!” Dabei, wie Locke die Schlägel sinken lässt, um dem Alleinunterhalter Castaneda das Feld zu überlassen, auf dem er zwischen simpler Samba und stupender Saitenartistik wie ein Berserker pflügt.

Man hat die Liste unterschrieben, den unglaublichen Castaneda noch im Ohr, da gewärtigt man in der kleinen Scheune gleich den nächsten Blick in die Zukunft des Jazz wie der JazzBaltica. “Das Entscheidende sind die Noten, die man nicht spielt”, orakelt der Schlagzeuger Wolfgang Haffner und setzt dies mit Pianist Hubert Nuss und Bassist Lars Danielsson in die Tat seiner “Round Silence” um. Die Kunst des Weglassens installiert in magischen Leitmotiv-Loops von Klavier und Bass und den ebenso sparsamen wie punktgenau rhythmischen und klangfarbigen Beats Haffners eine Stille, die laut ist, weil sie etwas Großes verlautet. Mr. JazzBaltica Nils Landgren ergänzt diese fragilen Vexierspiele gewohnt funky. Und schon wieder ist das einer dieser JazzBaltica-Gigs, von denen man noch den Enkeln vorschwärmen wird.

Die spielen währenddessen in der großen Scheune. Artist in Residence Michael Wollny hat sich zu seinem eigensinnigen Piano die Cembalo-Begleitung der Israelin Tamar Halperin in seine “Wunderkammer” geholt. Was da abgeht, ist mit Toccaten-Kunst, Generalbass-Perkussion als Brückenschlag zwischen Jazz und Barock und minimalistischer Projektion des Modern Jazz in die Hyperpostmoderne nur unvollständig beschrieben. Ebendrum müssen wir wiederkommen und wiederhören können – nächstes Jahr zur JazzBaltica in Salzau.

— snap! —

Mit abeh da, mit abeh hin und rückgefahren. Mit abeh Mittag gegessen, etwa gekochte Kartoffeln mit Vinaigrette. Mit Lilly funklöchrig telefoniert. Abi-Ball. Einlass mein Ausweis und Anlass. Abends zum See. Baden. Das Wasser kühlend und doch fast zu warm an meiner Haut, mich atemlos machend. Hecheln, Pfeifen des Access-Asthmas. Später beruhigt, leichtes Gleiten entlang des Schilfes, das bekanntlich auf der Rückseite des Mondes nicht wächst. Wenig getrocknet in die Kleider, Rückmarsch, noch jappsend. Angekommen Bratwurst und schon wieder Fluppe. Dann der Rest des Jazz, Cembalo. An Bach gedacht.

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