Mo, 21.6.10 (Di, 22.6.10, 5:50): Soul der Seelchen

Der olle Freund und seinerzeit Mentor N.B. hätte mir das wahrscheinlich um die Ohren gehauen: Cassandra Steen gut zu besprechen ist ein “No-Go” für jeden ernst zu nehmenden Musikjournalisten. laut.de hat’s vorgemacht. Dennoch, gerade sowas reizt mich ja, wider die Stachel der Soul-Polizisten zu löcken. Zumal das Seelchen ögyr mal wieder sehr nah am Wasser gebaut hatte. Also so besprochen:

— snip! —

Retterin aller Seelchen

Cassandra Steen beglückte auf der Freilichtbühne Krusenkoppel mit ihrem Soul.

Kiel. Vielleicht das schönste Kompliment für Cassandra Steen, die unermüdlich das Publikum für seine sangliche wie klatschende Mitarbeit Lobende und ihm mit ihrer bezaubernden bis einlullenden Stimme Seelenfutter Gebende: Ein Mädchen im Rollstuhl steht aus diesem auf und tanzt, versonnen seinen Teddy umarmend, direkt vor Cassandra, die davon so gerührt ist wie wohl jeder im Publikum im Krusenkoppel-Amphitheater – auch von ihren Songs.

Ja, stimmt, da ist viel Kitsch im Spiel, zu viele allzu einfache Reime, wenn die Echo-Preis-Gewinnerin 2010 ihren Soul zelebriert, nur selten so schwarz, wie Soul eigentlich sein soll, dafür umso himmlischer strahlend, wenn sie ihre betörende Stimme in die hoffnungsvollen Höhen der Erlösung aller Seelchen schraubt. Kitsch wird da Kunst, wo eine so authentisch am Werk ist, eine, die an ihre Songs glaubt. Also weg mit diesem nur der Vollständigkeit halber erwähnten Kitsch-Verdikt. Denn wenn selbst ein hartgesottener Rezensent bei jedem zweiten Lied nah am Wasser gebaut hat und die Tränchen nicht nur sein Knopfloch längst überflutet haben, dann muss da etwas sein, was man – ganz vorsichtig – göttlich nennen kann.

Glaube, Liebe, Hoffnung durchziehen den ganzen Sommersonnwendabend auf der Krusenkoppel. Steen singt gleich zu Beginn eines ihrer “Lieblingslieder”: “Es ist wahr” heißt es – und ist es. Zart kommt es daher und doch kraftvoll in Stimme und Überzeugung, dass irgendwie doch alles gut werden wird. Steen ist damit wie wir “Gefallen nach oben”, wie der nächste Song titelt. Auch wenn sich ihre Band dabei in allerlei durchschaubarem Pop-Bombast verliert, ist das so direkt in die Seele gepfeilt, dass man bei diesem Rhythmus einfach nur mit muss. Steen lässt uns nicht geh’n, nicht abschweifen von ihrem Pfad der soulischen Erleuchtung. Vor allem, wenn sie im Duett mit ihrem Background-Sänger Daniel – “eine Entdeckung von Xavier (Naidoo)” – singt. Zwei Seelen im einverstandenen Soultakt. Ebenfalls im Einklang der Seelen ist Gitarrist Daniele mit Soli, die aus den ohrwurmigen Melodien unendliche spinnen. “Himmlisch hendrixsch” fällt einem dazu schon wieder ein.

Doch zurück auf den Boden der Tatsachen. Steens Stärke ist, dass sie in all dem Verzaubernden auch Sozialkritik unterbringt. In “Glaub ihnen kein Wort” spricht sie einem Drogensüchtigen Mut zu, und damit “allen Menschen, die es schwer haben, aber trotzdem nicht aufgeben, sondern aufstehen” (wie das Mädchen im Rollstuhl). Seltsam, dass sie uns mit solchen Songs süchtig macht nach der Droge ihrer Stimme, die auch Alicia Keys’ “If I Ain’t Got You” oder Seligs “Ohne Dich” so seelchensüß covert, dass man das Original glatt vergisst.

Selbst ein Requiem wie “Unendlich” wird so zum Rettungsanker, nicht zu schweigen von der Zugabe aus Steens alten Glashaus-Zeiten: “Wenn das Liebe ist …” – was ist dann dieser Abend? Unbedingte Liebe einer Sängerin zu ihren Songs und die der Seelen, die ihr in stehenden Ovationen zufliegen.

— snap! —

Man merkt dem an, dass zwei Seelchen in meiner Brust rangen, beide natürlich lächerlich: das des Musikjournalisten, der sich damit innerhalb der Zunft unmöglich macht, und das dessen, der sich der Wahrheit der “Immer ist Situation” verpflichtet fühlt. Diesen Konflikt gut gelöst, denke ich, und sinke Steen-beseelt in die Kisschen 😉

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