1-1-95, 23:14

kleine zahl, kleinstmögliche. der x-te versuch, das alles aufzuschreiben, das x-te mal gefaselt „this is a recording“.

verabredungen:

1. leichter als „ich“ ist „sk“ zu schreiben. es hat nur zwei buchstaben, das geht schneller. ferner habe „ich“ keine lust, „mich“ der anforderung zu beugen, daß „meine“ texte auch grammatisch &was mit „mir“ zu tun haben sollen.

2. da literatur mit am tisch sitzt, weigert sich sk ebenfalls, sie zu mißachten-schrägstrich-herauszuhalten. was wäre ohne l auch mit dem diarium anzufangen?

3. auch kleingeschriebenes erleichtert die schnelligkeit des flusses. im übrigen ist es cool. es ist überdies eine erinnerung an die schreibe der kämpfenden genossinnen in der haft. sk ist nicht in einer haft, jedenfalls keiner, die mit der folter an den genossinnen vergleichbar wäre. dennoch befindet er sich, zumal wenn er dieses diarium bemühen wird, in einem zustand der isolation, der zumindest ermessen läßt, was wirkliche fiese totalisolation bedeuten muß. insofern diese geste der anerkennung und aneignung. sk’s zelle ist warm und buchbestellt, aber es ist eine zelle.

4. r = rina, tsg = telse, e = esther (die mit langem e zu sprechen ist)? a = anne? sm ist das sadomasostadtmagazin, sk’s kampfplatz fürs kapital in der verhaftung der subversion, die allerdings eines tages mit diesem müll radikal schluß machen wird – das gelobe – ha! – ich!

5. thc oder ch3cooh schreiben mit.

6. ok, sk ist einsam, damit muß er sich jetzt erstmal abfinden, als arbeitshypothese, die später wird widerlegt werden können, derzeit aber zu gelten hat.

go!

in diesem moment müßte sk den dampfer machen. texte von r wären abzutippen. der entschluß stand schon, doch dann peinigte sk das im text dauernd wieder enthaltene liebessehnsuchtsgesäusel r’s, das r selbstverständlich nicht im mindesten zusteht, sondern allenfalls, wenn überhaupt, dann ja wohl sk! also erstmal beiseite gelegt für stabilere zeiten & situationen, in welchen sk das dann wird verkraften können und nicht mehr wird so unbedingt sehen.

also lieber erstmal eine e eingeworfen. vermutlich hat sich sk „ein bißchen“, so nennt er das, in e verliebt. darum freut er sich jetzt über die fluchtmöglichkeit, e zu beschreiben, jetzt hier, und sich daran zu erwärmen. also e: e ist einen kopf größer als sk, welche erwähnung an allererster stelle sk tiefblicken läßt, also demütig. dabei ist e von der person her, so wie sie sich gibt gar nicht demut heischend, vielmehr fast ein wenig schüchtern. aber erstmal äußerlich: e ist nach eigenen angaben 1-84 groß. e hat lange, schlackernde beine. e hat schwarze, schulterlange haare, die immer ein ohr freigeben. e schminkt sich nicht, nur zu besonderen anlässen, zb wenn sie mit isabelle zum hopsen ausgeht, dann den mund dunkelverhaltenrot und das augenlicht kajalig. gestern, also silvester, war der anlaß so vertraut, daß auf den lippenstift verzichtet werden konnte. e hat kein besonders auffallendes gesicht. will sagen, es fällt nicht auf, außer man schaut genau hin. dann fällt es so auf, daß sk kaum wieder wegsehen kann. irgendetwas ist an e enorm interessant. sk weiß noch nicht genau was. e ist eben unscheinbar, nur groß. e ist buchhändlerin bei „blickwinkel“ im sophienhof. dort könnte sk beim bücherkauf e treffen. sk hat sich jedoch etwas anderes überlegt. e ist hier gelegentlich zu besuch, bei isabelle, das ist ihre freundin, was die „angelegenheit“ (süß, wie sich sk nicht traut zu sagen, was nicht sache ist) ebenso erleichtern wie komplizieren könnte. das ist selten, jedenfalls für sk jetzt. sk hat zugang zu kostenlosen theaterkarten. er hat bereits zwei für den nußknacker am 14.1. bestellt. der nußknacker, ballett und so, wäre geeignet, nicht zu schwierig, nicht zu anspruchslos, eben ballett. sk wird e anrufen und sagen, daß eine karte noch frei sei, weil er niemanden gefunden habe &c., dieder mitkommt. damit die karte nicht verfällt, soll e sie haben. e kann nein sagen. vielleicht hat e an dem tag etwas anderes vor, schon lange. dann ist sk’s plan gescheitert. dann wird sk pech haben. wenn e zeit hat, heißt das noch nicht, daß sk glück hat. aber immerhin. sk wendet eine klassische „methode“ an. eigentlich müßte ihm das peinlich sein oder widerstehen. aber sk hat nicht gelernt, wie man anbändelt. e geht gern tanzen. sk nennt das hopsen. schon wieder ein minuspunkt. schade, sk. aber sk hat trümpfe im ärmel, die e noch gar nicht kennt. sein ärmel ist geradezu geschwollen von den vielen karten. armer sk. oder arme e? sk könnte natürlich auch gleich wieder megamäßig anrennen, also e zb dies hier so direkt per brief schicken. dann wäre wenigstens alles klar. oder er schreibt gleich mal eben einen sonettenkranz. sowas hat e noch von niemandem erhalten. es wäre jedenfalls ein großer zufall, wenn sie dies schon erhalten hätte. dann wäre auch alles klar. sk hat sich jetzt bitter lemon und wodka als flaschen ins zimmer geholt. der text wächst, es schafft zu viel unterbrechung, dauernd in die küche zu rennen. also, wo waren wir? ach so: taktische erwägungen. e wäre nett. e ist lieb. e ist schlau. e hat einen hintergründigen humor. e würde zb sk’s sprachspiele verstehen. e ist nicht r. aber r ist auch nicht e. der wodka kommt aus polen. die haben unter sk’s und e’s landsleuten aufs äußerste gelitten. jetzt trinkt sk ihnen auch noch den wodka weg. e hat sk neulich grüßen lassen. e hat isabelle neulich, nach der ersten haarschneideaktion durch isabelle, kurz nach der e eintraf, gesagt, sie habe das erstemal sk’s gesicht gesehen. vermutlich ist das wieder irgendein übersetzungsfehler. sk will im neuen jahr – wiedermal – französich lernen. e ist katholisch. e kommt aus überlingen oder so, jedenfalls vom bodensee. ihr vater hat ein hotel mit namen „hecht“, das kommt in martin walsers „fliehendes pferd“ vor. martin walser ist natürlich inzwischen ein idiot geworden. aber das ist wieder ein anknüpfungspunkt zu e. e ist schön. es ist diese schönheit, die erst erforscht werden muß, wie bei r. das mag sk sehr. imgrunde gut. sk möchte da noch arbeiten an einem menschen. nichts soll ihm einfach in den schoß fallen. das hat er an der küste gemacht, im rotlicht, neulich. und das war langweilig. da hat sich nur eine senkrechte komponente gefreut. die fläche war nicht aufgespannt, geschweige denn der raum. also e.

morgen fährt sk allerdings zur geburtstagsparty von a. a ist auch nett. a ist p.c., genossin. ein großer gewinn. sk sieht sich um.

e und sk gehen zweitweilig nebeneinander vom feuerwerk am wasser zurück zur wohnung. das neue jahr hat gerade begonnen. sie gehen vorbei an: dem botanischen garten. da hatte sk mit r im gras im sommer gelegen und hatte sich, das hatte er noch genau in erinnerung, im kopf zugeflüstert : jetzt bin ich glücklich : als er auf dem rücken lag und in die äste der bäume und den himmel schaute. auch an brecht und ein frühes gedicht von diesem hatte er gedacht. aber es war schön gewesen, sich im bewußtsein der vergänglichkeit dieses augenblicks einmal so sehr dieses „ich bin glücklich“ sagen zu können, alle furcht, daß dies sich ändern werde, im nacken im gras, aber dennoch. an diesem botanischen garten gingen sie vorbei, der jetzt kalt und erstarrt war. und sk dürstete danach, den augenblick von damals zu wiederholen. seinetwegen mit e oder sonstwer. mit e im gras liegen und ihr von der tatsache erzählen, daß er schon einmal hier glücklich gewesen aber jetzt erneut, und nur das sei wichtig. dies projizierend war sk einen augenblick in dieser silvesternacht eines ziemlich beschissenen jahrs glücklich. und die tatsache, daß e neben ihm stand, in diesem moment, wird dazu beigetragen haben, daß er sich „ein bißchen“ in sie verliebt hat. eigentlich nur das. dann gingen sie weiter, der troß. nach dem garten folgte das alte klinikgebäude. der op leuchtete bläulich durch die matten fenster. da hatte sk gelegen vor nunmehr fast zwölf jahren mit einem harnleiterstein. er liebte damals kirsten und sie ihn nicht, wodurch er heftig unglücklich war. sk hat darüber geschrieben. ja, also, im nachhinein. damals war er total unglücklich gewesen, hoffnungslos, ausweglos, mehr noch als jetzt. und ein jahr später war da plötzlich r gewesen in seinem leben, so hieß das. freilich, die erinnerung jetzt daran war sehr schmerzvoll. einen tag vor der einlieferung mit blaulicht und kolik hatte sk damals gift genommen. irgendeinen cyanidkomplex, den er in der schule im chemielabor, wo er ordner war, geklaut hatte. wie er später aus einem buch erfuhr, war derlei nicht lebensbedrohlich, weil der komplex bei einnahme und verarbeitung im magen das cyan nur zu viel zu geringem prozentsatz freisetzte. immerhin hatten die eltern beim auftreten der kolik am nächsten tag an selbsttodversuch gedacht. sk war damals sehr theatralisch. die notärztliche krankenhauseinweisung kam ihm sozusagen gelegen. heute wäre es ihm einfach nur noch zu abgeschmackt, sich zu killen. er hatte daran gedacht. er war nun schlau genug, es so anzustellen, daß es klappte. eine mengenmäßig geeignete kombination von thc, alkohol und uniphylin (anti-asthma-mittel) hätte eine geeignete wirkung entfalten können. er würde in dem blauen op dortdrüben liegen, mit kämpfenden ärztinnen an seiner seite, doch die hätten keine chance. andererseits. sk war inzwischen eingebildet genug, daß er den verlust, den die deutschsprachige literatur nebst der deutschen politik durch eine solche solche aktion erleiden würde, als zu gewaltig erachtete. eine solche selbstüberschätzung hatte er inzwischen genährt. r brauchte keine angst zu haben, und e konnte sich auf ihn freuen, oder a oder sonsteine.

all das ging ihm durch den kopf, als er neben e den weg hinauf vom wasser nach hause ging. und ihm war so zumute, daß er e gleich hier, an ort und stelle hätte umarmen wollen, ihr alles gestehen, alles erzählen, was ihm in diesem moment durch die stirn ging, sich wundernd, daß sie von all dem rein gar nichts wohl merkte. eine so heftige zuneigung zu e durchfloß ihn in diesem augenblick, daß seine augen tränten, so sehr, daß an der wange etwas drainierte und er sich die arbeitermütze mit dem roten stern dran tiefer ins gesicht ziehen mußte. ach, e, nimm mich, liebe mich, löse alles auf in mir, dachte er. es war enorm heftig. warum tat er nichts. was konnte einer wie er noch verlieren? ach, e, ich liebe dich, so dachte sk.

der moment ging vorüber. er war wichtig. als sk sich nach einer minute wieder aufgefangen hatte, war sein erster wieder klarer gedanke, daß das immerhin würde aufgeschrieben werden müssen. das typische in diesem denken, für ihn, ernüchterte ihn weiter, und er konnte wieder stehen, anstatt sich heulend vor e hinzuwerfen in totaler selbstaufgabe, wie er es eben noch vorgehabt.

man traf zu hause ein und trank eine viel zu starke feuerzangenbowle. e wurde sichtlich sedierter. eine neue möglichkeit wäre da gewesen, die sk aber aus grundsätzlich politischen erwägungen ablehnte, obwohl er e an seinem jetzt produzierten joint saugen ließ. das thc war wieder gesunde flucht, sonst wäre es zu weiteren situationen wie der eben beschriebenen gekommen, und e wäre unzweifelbar in seinem bett gelandet, wie sich sk ausmalte, wissend – denn das ist doch so erstaunlich, wie wach und aufmerksam sk in dem nun einsetzenden kombinationsrausch nun wurde – wie unsinnig das gewesen wäre, alles zerstörend und viel zu schnell und – wahrscheinlich seine künste der liebe maßlos überschätzend, denn jenes platte unternehmen wäre ihm wahrscheinlich bei allem traum nie gelungen.

vermutlich hätte e davor genauso viel angst gehabt wie sk.

sk ging schlafen. inge & sk hatten e noch nach hause begleiten wollen, waren dann aber auf halbem wege von einem bus abgefangen worden, in den e einstieg. inge roch lunte und sk gestand, was inge erfreute, weil sk jetzt offenbar wieder zu solcherlei fähig sei. sk litt. sk ging schlafen. sk träumte. sk stand wieder auf und nahm erneut eine dosis thc. sk war ein lügner. ach, sk! ach, e!

am morgen testete sk, ob es ihm möglich sei, sich in erinnerung an e einen runterzuholen. es gelang, obwohl immer wieder bilder von r dazwischen flackerten, wie sie einmal auf ihm gesessen hatte, mit der möse willig zur leckung hingestreckt und er fast erstickt zum orgasmus gekommen war. irgendwie war das leben doch kompliziert, viel zu kompliziert. abebbend schwor sich sk, das theaterunternehmen mit e durchzuziehen. wenn schon keine vorsätze für das neue jahr, so wenigstens dieses. sm drohte.

nachtrag wodka und bitterlem hat sk jetzt noch thc eingenommen. die schrift fließt ihm weg. soll er dies hier r anvertrauen? er meint jetzt, er soll. sk geht schlafen.

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