„Provinzlärm 1“: Entfernte Echos des Daseins

Das Neue-Musik-Festival „Provinzlärm“ eröffnete mit zwei beeindruckenden Werken, darunter eine Uraufführung

Von Jörg Meyer

Eckernförde. „Ganz schön körperlich, oder?“, flüstert der Eckernförder Komponist Gerald Eckert dem Rezensenten nach der Uraufführung seines neuesten Werks „Sopra di noi … (niente)“ im Eröffnungskonzert des 5. Neue-Musik-Festivals „Provinzlärm“ in der Eckernförder St. Nikolai-Kirche zu. Und wahrlich, die über dem grollenden Grund von tiefer als tief gestimmten Posaunen und nicht minder aufs Knarren gelegten Klarinette und Fagott sich ereignenden Perkussions-Explosionen gehen dabei durch Mark und Bein.

Doch trotz solcher neuerdings sehr körperlich begriffener Klangerforschung setzt Eckert seiner Komposition nach Natalia Solomonoffs zwölf-teiligem Zyklus „Raunächte“, die den entfernten Echos des ganz gegenwärtigen Zeitgeist-Seins nachforschen, einen geistigen, wenn nicht geistlichen Vers aus Dantes „Göttlicher Komödie“ als quasi Motto voran: „Ich kam zum Ort, wo alle Lichter schwiegen.“ Ein Requiem also – nur worauf?

Vielleicht auf jenes, das der Geist den Sinnen zuweilen singt. Dass er ihnen und ihren Täuschungen überlegen sei, sozusagen schlauer. Aber bei Solomonoff, wo die Sopran-Solistin Maria Boulgakova mehr lebendigst ächzt, atmet, stöhnt als singt, wie auch bei Eckert erleben wir, dass der Geist gerade in der Vergeistigung besonders sinnlich, körperlich ist. Spätestens wenn aus all dem Leisen des Leidens plötzlich die Explosion bricht, geradezu wie ein Orgasmus des Klangs, wenn im verhallenden Nachhall dessen das krude, manchmal unaushaltbare Sein als Echo seiner selbst umso nachhaltiger nach- und verklingt. Aufgemerkt: Nicht dieser monströse Tutti-Schlag der 21 Musiker (das um Gäste erweiterte ensemble reflexion K) ist das Ereignis, sondern wenn es echot ins Nichts und dabei seine wirkliche Klang- und Seinsgestalt entfaltet.

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Das Echo wird so zum eigentlichen Klang eines Bei-sich-Seins, das die Neue Musik in all ihrem verstörenden Avantgardismus eindringlicher formuliert als jede sich ihrer selbst schon ewig sichere klassische Symphonie. Symphonisch ist auch dies, nur ganz anders – im Hinterfragen, als Zweifel und Mut machende Verzweiflung an den immer entfernteren und damit unseren Körpern näher kommenden Echos des Daseins.

Der „Provinzlärm“ geht weiter am heutigen Sonnabend mit Konzerten um 11, 17.30 und 19 Uhr, sowie am Sonntag um 17.30 und 19 Uhr. Infos und detailliertes Programm: www.provinzlaerm-festival.de.

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2 Antworten zu „Provinzlärm 1“: Entfernte Echos des Daseins

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