Fr, 6.8.10 (Sa, 7.8.10, 5:14): Gegendämm[er]ung

Text von heute journalistisch, …

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Nachhall von Zeiten, Räumen und Textklängen

Die Ensembles reflexion K und voces verbanden in der Nikolaikirche alte mit Neuer Musik.

Eckernförde. Es war „ein sich anders in die Leere Sagen“, wie es der Lyriker Raoul Schrott einmal nannte, als Guillaume de Machaut um 1360 die erste vierstimmige Messe schrieb und damit nicht nur die Mehrstimigkeit, sondern auch die Gestaltung des Raums durch Klang zum Kompositionsprinzip erhob. Vom Papst mit einem Bann versehen und unverstanden war diese „Ars nova“ zunächst – ein Schicksal, das die Neue Musik mit dieser alten lange teilte. Aber nicht nur deshalb stellten das Eckernförder ensemble reflexion K und das Berliner ensemble voces in der Nikolaikirche unter dem Konzertmotto „Gegendämmerung“ Machauts richtungsweisendes Werk vieren des Eckernförder Komponisten Gerald Eckert gegenüber.

Machauts „Messe de Nostre Dame“ klingt rund 650 Jahre nach ihrem Entstehen eigentümlich modern, gerade wenn das ensemble voces die einzelnen Sätze zwischen Eckerts Kompositionen präsentiert. Machaut wie Eckert erweisen sich als „Echolote“, die die musikalischen Parameter Zeit und (Raum-) Klang neu „eichen“. In der rein elektronischen Komposition „Aux mains de l’espace“ („in der Hand des Raums“) ist diese Neuverortung sogar programmatischer Titel. Eckert komponiert hier nicht mit den Klangereignissen an sich, sondern nur mit deren Nachhall, also ihrer zeitlich verschobenen Wechselwirkung mit dem Raum. Auch in „Nen VII“ konfrontiert er den auf Tonband aufgenommenen und elektronisch verfremdeten Nachhall von Flöte und Cello mit deren Live-Klängen, welche Kombination sich wiederum mit dem Raumhall der Nikolaikirche überlagert. Solche in einander verschränkten Klangebenen sind typisch für Eckerts Musik und finden sich im hier möglichen direkten Vergleich mit Machaut auch schon bei letzterem.

Eine weitere Gemeinsamkeit, die sich über die Jahrhunderte hinweg spinnt, wird in Eckerts „Annäherung an Petrarca“ und „Gegendämmerung“ deutlich, in denen auch die menschliche Stimme eine Klangrolle spielt. Machaut machte in seiner Messe den Text zum Klang, indem er ihn über weit gespannte Melissmen (ein Silbe erstreckt sich über viele Töne) dehnte. Die Musik fügt sich so in die „Löcher“, die Leerstellen, die der Text (zu-) lässt. Genauso bei Eckert, der Raoul Schrotts Gedicht „Physikalische Optik V“ in „Gegendämmerung“ eben nicht vertont, sondern es fragmentiert und so den Sinn in etwas sinnlich Wahrnehmbares transformiert. Was schon bei Machaut „unerhört“ im doppelten Wortsinne war, ist so noch heute ein Hall, der die Texte mit Klang und damit neuem Sinn füllt.

— snap! —

… lyrisch …

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gegendämm[er]ung

ein and’res in die welt mich fragensagen:
dass ich als nicht und wicht und schüchtern licht
würd’ alle fensterstürze mutig wagen,
damit ich nicht, was alte kunst uns spricht.

die welt steht kopf, nur wenn wir sie ertragen:
symbol und all das freche metaphoren
den unvergessenen ins grab geschlagen,
auf dass sie sich erst und dann uns verloren.

das rad steht stiller als das kyrie
der plattitüde aller nacht geweihten.
aus sommers fernen schreit die furie,

was sie gesetzt zu früh in lieb’ der leiden.
ich dämm’ sie ein, den fluss, das meer, die seen,
und träume mich, zu singen solchen feen.

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… und filmisch:

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2 Antworten zu Fr, 6.8.10 (Sa, 7.8.10, 5:14): Gegendämm[er]ung

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