26-6-95, 17:20 (skizzenbuch)

ballade von dem oder der, für die das nicht gemacht ist

dies ist nicht für dich gemacht,
sei dessen gewiß am tag und in der nacht.
strebe nicht danach und vor allem
hoffe nicht darauf. du kannst es nicht bezahlen.

du, der du esser sein willst am tisch
jener, die essen, mäßige dich.
dürste auch nicht, wonach sie dürsten,
denn schlohweiß und sauber sind den köchen die schürzen.

du, der du recht hast, streite nicht,
bring auch nichts ans licht.
verweile, von wo du aufgebrochen,
kehre dorthin zurück, die fleischtöpfe nämlich schon kochen.

nimm nicht davon, schau vielmehr weg,
wenn doch ein händler zückt einen scheck.
und vor allem: brüste dich nicht damit,
wenn dir fehlt zur zerschlagenen scheibe der kitt.

dies ist nicht für dich gemacht,
am tag nicht und erst recht nicht zu der nacht,
die frau nicht im gelben sommerkleid
und auch nicht des schönen herren da leib.

und sagt dir einer, schau, für dich –
glaube ihm nicht.
und sagt dir eine, sieh hin, es ist dein,
so rühre nicht dran, sondern weine allein.

sagt man dir, du seist frei,
dann juble nicht, sing eine litanei
stattdessen und weise mit dem finger
auf die gitter, so du eines hast, an deinem zimmer.

schläfst du schlecht, schlafe nicht besser
und beneide, erwacht, nicht die fresser.
du, dem es wach auch nicht besser geht,
schlafe nur, denn ein wind weht.

dies ist nicht für dich gemacht,
keiner tut das für dich, nicht tags, noch in der nacht.
warte nicht auf bess‘re zeiten,
sei auch hier radikal und ohne höflichkeiten.

arm in arm geht ein paar
an dir vorbei, und eine schar
von liebenden folgt ihnen.
wisse: nicht für dich sammeln den honig die bienen.

blüht es da, blau, weiß und rot,
dann wisse: ein farb’ ist falsch! das lot
fällt senkrecht, keine waage
ändert das. sag daher nicht: schade.

arbeiter am fleißigen band
und denkerin mit der stirn in der hand,
zählt nicht das geld in eurer tasche,
du auch nicht bauer, es ist nicht eure kasse.

denn dies ist nicht für dich gemacht,
weder am tage, noch in der nacht.
dies mußt du wissen,
sonst bleibst du auf ewig beflissen.

17:40

zusatz:
du, die du für all das nicht kämpfst, laß ab,
kämpfe nicht, denn der kampf ist nicht für dich gemacht.
und du, der du dies liest und dich wunderst,
es ist nur für dich gemacht.

22:17

die ballade von der haltbaren backpflaume

eine backpflaume bekümmerte sich,
daß sie so schrumplig sei.
sie sprach: sehet, das bin ich,
die backpflaume eklig – tanderadei.

und es feixten die frischen pflaumen,
die prallen und frühherbstgefärbten.
hämisch war jener pflaumen raunen
und schäbig die blicke der sonnengegerbten.

da kam ein mehlweißer bäcker vorbei.
der pflückte die reifen pflaumen
und machte kuchen daraus für gierige gaumen,
schnitt eine jede entzwei – tanderadei.

die prallen pflaumen wurden gefressen.
die backpflaume hingegen
wurde nicht gebacken, sondern vergessen
und blieb, schrumplig zwar, aber am leben.

die backpflaume schrumpelte weiter,
sogar ihr kern begann zu ergrauen.
da sagte sie sich: wenn ich auch scheiter,
so bleib ich doch unter den pflaumen.

und sie blieb und faltig und haltbar
und war guter dinge dabei.
und weil’s noch lang nicht so weit war,
schrumpelte sie, als sei’s einerlei – tanderadei.

Dieser Beitrag wurde unter di.gi.arium 1995 - revisited, projekt erinnerung veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.