Das Fremde als Chance

„Du sollst zum Aug der Fremden sagen: Sei das Wasser! / Du sollst, die du im Wasser weißt, im Aug der Fremden suchen.“ (Paul Celan)

Turmbau zu Babel: Sprachverwirrung als Gottes zweite Strafe – und Chance im Chaos – nach der Sintflut, deren Wellen Flüchtlinge verzehren heute wieder im Mare nostrum und zerschellen lassen an den undurchdringlichen Küsten der „Festung Europa“.

Die Fremden aber sind auch unsere Hoffnung, die der „Eingeborenen“, den Hunger zu stillen, den Menschen alle gleich empfinden, dürstend nach dem Wasser lebbarer Heimat. Doch die scheint so fern in aller Nähe. Wie nähern wir uns ihr?

Lauschen wir dem Buch Ruth, in dem erzählt wird von einer, die, nachdem fast alle ihre Anverwandten starben, sich aufmachte, den ihr Verbliebenen zu folgen in die Fremde, wo man sie verachtete und dennoch die Hoffnung war, dass Fremde könnte Heimat werden.

Dorthin, wo die Sprachen verschiedene sind, wo nicht das Paradies ist, aus dem wir alle vertrieben wurden – und uns selbst immer wieder vertreiben. Aber wir alle zu uns selbst Flüchtende es neu bauen könnten, versuchten wir, uns zu verstehen – über Grenzen hinweg.

Und reichten uns die Hand wie die Erbauer des Turms zu Babel, der den Himmel nicht erreichte, sondern wie wir Menschen scheiterte an jenem zu Allah Streben, wovon uns Gott erlöste, weil er wusste, was wir nicht können.

Gleich welchen Glaubens, sagt er, seid ihr Menschen und so mit mir im Bund. Der heißt: Seid solche, meine und also in der Liebe unter den Menschen verbunden. So spricht der Herr, Adonai, Allah in allen seinen Erscheinungen als Fremder und zugleich Vertrauter, als Vater, Mutter, Sohn und Tochter, kurzum als Mensch sich fremd.

Mag sein, dass wir uns verwirren in den Sprachen, Ländern, dass wir voneinander gehen von einem in das andere Land, dass wir flüchten müssen, verlassen Heimat, neue zu finden. Dass uns Allah, Gott, Adonai auf Wanderschaft schickt, ist sein Vermächtnis: Nämlich dass wir einander in der Fremde wiederfinden, als Brüder und Schwestern einer selben, gerade weil so verschiedenen Herkunft.

Wir bauen keine Türme mehr, aber gehen wie Ruth in die Fremde, um erst dort unsere gemeinsame Heimat zu finden. Und so sind wir der Turm, der an der Küste leuchtet, auf dass alle zu uns finden – in unsere gemeinsame Fremde –, die sich sehnen nach dem Leben, das uns der Herr, Adonai und Allah versprach. Auf dass wir es annähmen und einander gewährten in Würde. Im Frieden des voneinander Wissens und Lernens. So ist Fremde im uns einander Anvertrauen unser aller Auftrag und Hoffnung.

(musik: rachel portman: soundtrack zu „chocolat“ – „boycott immortality“)

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