So, 30.5.10 (Di, 1.6.10, 1:17): Beete & Bestien

Dritter Tag beim Symposion “RestNaturen”. Diesmal schon um 10 Uhr da, ein Zeitpunkt, wo ich noch nicht vernehmungsfähig bin. Muss ich aber auch nicht, weil ich ja nur aufnehmen muss. Schaue aus dem Fenster und lausche den Vortragenden. Wieder diese gestern geschilderte plötzliche, enlightenment-flackernde Aufmerksamkeit, weil das alles total spannend ist.

Hab’ Lilly schlafen lassen, mich leise sohlend aus dem Haus geschlichen.

Zurück, erwacht sie eben, und ich sprudele sie mit dem soeben Erkannten zu, welche Thesen sie rhetorisch überzeugend kontert, geschult an Platons Symposion.

Schreibe wie folgt, etwas in Eile, doch in leichtem, noch mitdenkenerviertem Fluss, weil’s für die morgige Ausgabe der KN gebraucht wird:

— snip! —

Beete und Bestien in Brachen

Das Symposion “RestNaturen” des Forums der Muthesius Kunsthochschule blickte auf das Verhältnis von Natur und Kultur.

Kiel. “Kultur ist die Natur des Menschen.” So spitzt Norbert M. Schmitz, Professor für Ästhetik an der Muthesius Kunsthochschule, in seinem Abschlussvortrag die Debatte zu, der sich drei Tage lang das Symposion “RestNaturen” widmete: Sind Kultur und Natur Widersprüche? Wie müsste man den Naturbegriff neu fassen, um Natur in Wechselwirkung mit Kultur und Gesellschaft besser zu verstehen?

Schmitz’ Thesen: Der Zoo ist ein wahres, weil ästhetisches Bild der Natur. Im Zoo wie auch im Garten wird die Natur von ihrer “Unerbittlichkeit”, der darwinschen Logik des Fressen und Gefressenwerdens, befreit und kommt in ihrer Ästhetisierung eigentlich erst zu sich. Natur sei nie ursprünglich, sondern immer schon ein Kunstprodukt. Insofern sei auch die Erhaltung der Natur weniger eine ökologische als eine ästhetische Überlebensfrage. “Natur muss erhalten werden, weil das Schöne erhaltenswert ist.”

Dass dies zwar provokant formuliert ist, aber doch zutreffen könnte, dass man ausgehend von Bruno Latours “Parlament der Dinge”, das eine Einbeziehung der Natur und ihrer “Interessen” in demokratische Netzwerkprozesse fordert, Natur und Kultur statt als Widerspruch als gegenseitig Vernetztes denken kann, darauf wiesen auch andere Vorträge des Symposions hin. So beschäftigte sich die Kunst- und Kulturhistorikerin Susanne Hauser mit Industriebrachen, auf denen sich Flora und Fauna nicht nur wiederansiedeln, sondern sie paradoxerweise auch zu Biotopen mit einer Artenvielfalt machen, die in der “unberührten” Natur nur selten anzutreffen ist. Kultur- und Naturgeschichte verschränken sich in solchen “anarchischen Niemandsländern” auf einzigartige Weise und werden so zu Orten botanischer und zoologischer Forschung wie auch zu “mythischen Wildnissen einer merkwürdig verbrauchten Art”. Ähnliches lässt sich entlang des ehemaligen “Eisernen Vorhangs” beobachten, der nunmehr von Naturschützern zum “Grünen Band” ausgerufen wird – mit dem Ziel, sowohl die “neue” Naturgeschichte als auch die vergangene menschliche Geschichte dort zu dokumentieren. Wo Kulturgeschichte verfällt, wird Naturgeschichte geschrieben und umgekehrt.

Natur und Kultur stehen also offenbar in einer vielschichtig verwobenen Wechselwirkung gegenseitiger Beeinflussung und Bedingung, die auch soziale Implikationen zeitigt. “Guerilla-Gärtner” in den Metropolen eignen sich öffentliche Räume wieder an, indem sie Beete auf die Brachen pflanzen. Die Gartenbauwissenschaftlerin Julia Jahnke und die Stadtplanerin Ella von der Haide illustrierten dieses “politische Gärtnern” unter dem Motto “Eine andere Welt ist pflanzbar!” am Beispiel des Berlin-Friedrichshainer Gemeinschaftsgartenprojekts “Rosa Rose”. Mehr noch als die gärtnerische Besetzung von Brachen versuchen solche Ansätze zudem, eine “partizipatorische urbane Landwirtschaft” zu etablieren und so den sozialen wie kulturellen Gegensatz zwischen Stadt und Land aufzuheben.

Auch in der Kunst selbst wird der Naturbegriff problematisiert, wie der Künstler Miron Schmückle exemplarisch am Werk Walton Fords demonstrierte. Ford, dessen “Bestiarium” noch bis zum 6. Juni in der Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof (Berlin) zu sehen ist, machte mit seinen großformatigen, lebensgroßen Tier-Aquarellen Furore. Ganz bewusst malt Ford nicht “nach der Natur”, sondern findet seine “Modelle” in Präparaten des New Yorker naturhistorischen Museums und in Tierzeichnungen aus der Kolonialzeit des 18. und 19. Jahrhunderts. Das Tier ist dort wie im Zoo als inszenierte Natur ausgestellt. In Anlehnung an die naturalistische Tiermalerei etwa des US-amerikanischen Ornithologen John James Audubon zeigt Ford die “gebändigte Bestie”, das Tier im anthropozentrischen Zugriff des Menschen, und setzt es in allegorische Zusammenhänge, die einen tiefsinnigen, wenn auch nicht moralisierenden Blick auf das herrschaftliche Verhältnis des Menschen gegenüber der Natur – nicht zuletzt der eigenen – werfen.

— snap! —

Schicke auch Bilder dazu an die Redaktion, etwa dieses, das ich im Netz fand, und das mich seltsam berührt:

Bildunterschrift: Vom Eisernen Vorhang zum Grünen Band – eine Brache an der ehemaligen innerdeutschen Grenze im Wendland wird zum Biotop (Foto: erlebnisgruenesband.de)

Berührung deshalb, weil mich der Grenzstreifen von je beschäftigte, im widerständigen Nachhall seiner Einebnung Beet war für manche Bestienblume etwa im “MERz.Monstrum”, zu welchem Text über die durch kapitale Grünwucherungen unsichtbar gewordene Grenze ich damals dies comic-collagierte.

Das Niemandsland der Grenze auch als poetischer Frei- und Wucherungsraum (mit einer bis dahin selten gefundenen Wort-Bio-Diversität ;-). Neu bemonstert. Und hier also der Wachturm, gestürzt wie so ein T-Rex in einem Animationsfilm über das Leben und Scherbensterben der Saurier. So hingefallen, hingegeben …

Im übrigen hängt wieder alles mit allem zusammen (was natürlich nur mein Hirnkopf so projiziert/entwirft), nämlich diese Symposionsfrage nach Kultur vs. Natur mit der “Flugschrift Naturwissenschaft als Herrschaft”, an der ich dieser Tage in anderem Zusammenhang wieder werkelte. Welche Dialektiken sich auch in obigem Text als Orgelpunkt, wenn auch kaum wahrnehmbar echoend, wiederfinden.

Dann auch im Gespräch mit Lilly, die mir fasziniert (und mich faszinierend) ihre Platon-Lektüre vorträgt. Wie nämlich Platon schildert, wie die Liebe aus einer Trennung entstanden ist. Dass (hier sehr vereinfacht wiedergegeben) der ursprüngliche Mensch, der sowohl weiblich als auch männlich war, von den Göttern zwecks seiner besseren Beherrschbarkeit in Zweierlei zerteilt wurde, welche Teile nun nach Wiedervereinigung (siehe Grenze/Grünes Band oben) in der Liebe streben.

Was wiederum damit zusammenhängt, worüber wir später sprechen, sehr ernst, sehr umschlungen und auch sehr zwei statt nur zweisam: Was wir einander sind und nicht sind, sein können und nicht sein sollten, waren, wären … Ertrinkende am selben Rettungsring, der aber uns immer noch und wieder umreift. Und dass wir gleichwohl uns schwimmen lassen wollen, schwimmen lernen lassen wollen.

Wir sind einander – ja, vielleicht das: Beet und Bestie ((auf unseren von einander berosten Brachen)).

Dieser Beitrag wurde unter d.day - keine nacht für niemand veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.