Di, 14.9.10 (Mi, 15.9.10, 5:31): Kartenhäuslich

Spät auf, müdmonstrig. So mit Lilly los, kleinen Finger in kleinen Finger gehakt, Oberteile aussuchen, welche mit Rüschenschultern. Während sie anprobiert und ich andere Größen und Farben zureiche, dabei von der Kaufhausschwüle nass geschwitzt, abwesende Gedanken zum Kartenhaus Finanzen, das gerade kurz vorm Einsturz steht. Großkunde zahlungsunfähig statt nur -säumig. Was mich dominosteinern mitreißt. Geldquellen akquiriert, die aber auch erst zeitversetzt sprudeln werden, wenn überhaupt. Den letzten Hunderter vom Konto gezogen. Sparsam macht der jetzt Sparzwang auch das Denken. Amputiert. Die Morgenträgheit ist jetzt erklärlich, war eine Fluchtbewegung vor dem Absehbaren. Reflex, den Kopf ins Kartenhaus zu stecken, um den Einsturz sanft zu erspüren. Keine konstruierte Depression, eher aufgewacht in die pure Wirklichkeit, die in Zahlen und A-conto-Lähmung messbar ist. Erstaunen darüber, wie wenig mich das dennoch anfasst, höchstens die Dauer dieser Gedanken, die sich wie ein dauerhafter Kopfschmerz allenfalls kurz betäuben lassen. Einrichten aufs Scheitern.

Bin dabei auch Lilly abhanden. Schaue dauernd nach Mails und muss gegen auch diesen Bankrott anarbeiten, wozu die Angstlähmung allerdings schon zu weit fortgeschritten ist. In die Fluchtbewegung des Nichtstuns, des Kommen Lassens, der Ergebung.

Mann mit erhobenen Armen, Geste der Antastbarkeit nicht, eher der Kapitulation.

Morgen wahrscheinlich doch wieder ran, an das Gegenanarbeiten, obwohl das Aufgeben, das Hinschmeißen wahrscheinlich die gesündere Entgegnung ist.

Gestern schon, heute mehrmals wieder plötzlich auftauchende semantische Frage, warum man eigentlich von „Ent-fernung“ spricht. Wenn man sich von etwas entfernt, wird es doch ferner. Oder kommt man ihm dadurch erst näher? Fluchtbewegung als Annäherung, als Modus des sich Stellens. Wegbewegt hingekommen.

Weiter mit Lilly kartenhäuslich in unserem Zelt, wo die Decke einen neuen Trocknungsriss zeigt. Der Putz blättert ab. Vorschau auf die Ruine. Beruhigt dennoch an ihrer Seite liegend. Zart, duftend, nah, ent-fernt.

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