Mi, 15.9.10 (Do, 16.9.10, 6:10): Wir sind wieder die

Wir sind wieder die – in Liebe Getrennte, das Paar mit ohnehin getrennten Betten (ich schnarche, sie ist hellhörig im Schlaf). Den Abschied – Lilly nach HGW, ich verhaftet in KI – gestalten wir unspektakulär. Wir sind ja nur eben mal weg. Dennoch der Schmerz. Und die Hoffnung.

Ich gehe vor ihr von ihr aus der Wohnung, damit alles nicht so schwer fällt, durch das umliegende weite Gefilde. Kaufe Zigaretten. Zurück: die Leere, die ich mit Arbeit fülle, mit Tipptätigkeit an zu erstellenden Texten. Und Zigaretten.

Nachts ruft sie an, noch in der „Kiste“, bauchverschmerzt. Wir trösten uns gegenseitig. Trost, überhaupt, Trost.

Vorher abends in der Hansa48 Heinz Ratz mit seiner „Hitlers letzter Rede“. Sitze in der Hansa oben auf dem Treppenabsatz, lausche tränend dieser Selbsthass-Suada. Bin Hitler, der gescheiterte Künstler, der Deutsche, der das Deutsche hasst. Und doch liebt: Goethe, Schiller, Rilke – werden dediziert.

Das Poem als Gegenan, als gegen sich selbst. Antidot. Ratz rattert das vorzüglich, unbedingt verdingt an den Dämon, der in jeder deutschen Brust die Zweisamherzlichkeit macht.

Derweil Mail von Wib: Zu Flugschrift und all that Jazz. Mein oller Physik-Professor, der mich prägte, friedenswillig. Pazifisting. Wie Ratz mit der Faust in dieses Eingeweide ehedem hämmert, ambosst. Wir sind wieder die Hitler. Der deutsche, ungezähneputzte, schlechte Atem, selbst in der Ablehnung alles Deutschen sehr mundgerüchtet deutsch. Deutsche Dichter. Die Sprache der KZ-Erbauer, und doch so schön, so luzide, so theatralisch. Auch und wieder hier.

Auf der Wa(s)chmaschine am Klo liegt noch Lillys Band Schopenhauer: „Die Welt als Wille und Vorstellung“. Vorgestellt sterbe ich da hinein, Träumer etwa morgens davon: Dass ein Stück von mir – allmachtsfantastisch – am Kieler Theater aufgeführt würde. Allein, der Text verändere sich krebsgeschwürig, meint der Regisseur. Werde immer mehr TEXT, immer weniger LEBENdig. Immer mehr Tod. Das Eingeborene des Textes sei seine Vernichtung. Gebe ich im Traum, im Interview zu Protokoll. Die Interviewerin, Volontärin, jung, schön, studiert, brüstig gebrüstet, hat ihre Tage, was ich rieche. Meine letzten Tage vor der Premiere, wo sich der Text verabschiedet.

Mein Hirte Krankheit. Ratz, verrattete Räterepublik.

Etwas ist, das einsam ist. Etwas ist, das erkennt. Etwas ist, das ehrlicher wäre, wenn es einsam sein könnte – wir, die wir wieder die sind.

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