Di, 12.10.10 (Mi, 13.10.10, 4:53): (Fremder) Friedrich 2.0 (2)

„Jeder nach seiner eigenen Façon“, wusste Friedrich, dekretierte es. Allein, inzwischen, nach 250 Jahren, haben wir Demokratie, Religionsfreiheit und all das Grund-pseudo-Gesetzliche, das die Artikel nicht wert ist, die es zählt, das einmal mehr zeigt, wie der je eigene Glaube und damit der je an ihn glaubende Mensch antastbar in seiner Würde ist.

Die Sarrazins stehen auf gegen die Sarazenen, das fundamentalistische Christentum kreuzzügelt wieder. Es ist zu hassen! Unerträglich die derzeitigen TV-Polit-Talkshows, unerträglich die Schwarzers, die aus einer pseudo-linken Perspektive gegen die Kopftücher ihre Trockenmösen spreizen wie es nazi-stiefelnde Rassisten kaum besser könnten. Unerträglich, wie die notwendige, aufklärerisch gewusste Emanzipation aus der je eigenen „Unmündigkeit“ zu ihrer von Horkheimer und Adorno gewussten Dialektik derselben wird. Wie die Aufklärung sich abendländlich-lagerabgefeuert zentriert, dabei kam doch aller Abend aus dem Morgen.

Europa wäre nichts ohne seinen Gegenpart Asien, das Christentum, das hier wieder fundamentalistische Urständ feiert, nichts ohne seine arabisch-jüdischen Wurzeln. Ach, gäbe es noch die Sarazenen-Heere, die die Sarrazins und Seegehöfte hinwegfegten, ja, hinmeuchelten, unter ihr Tuch, unter dem nicht minder kranke Köpfe wirken.

Die allgegenwärtige Fremdenfurcht wieder, angeheizt von den Maischgebirgen und all den beckmännchenden Nachfragern in ihren Talk-Shows. Was sich hier konformiert, ist eine wiedermal sehr deutsche Hatz auf das Fremde.

Dabei ist doch das Fremde, sind die Widersprüche der Kulturen, der Glauben, die Hoffnung, das Potenzial für Wandlung, Erneuerung, für den notwendigen Zweifel.

Mir fällt der olle Spontispruch ein, flehend: „Lasst uns mit diesen Deutschen nicht allein!“ Und: „Deutschland muss sterben, damit wir leben können!“

Deutschland gehört – endgültig – getilgt, ausgemerzt, genau so wie es ausmerzte, verwandelt in ein Verschwundenes, in dem es erst wieder – in der Fremde – sein dann diasporisches Sein, seine Sprache, seine auf ewig verwirkte Großkultur entwickeln könnte. Als Anregung für die „Völker der Welt“, für die gleichwohl Verdrängenden und Verdrängten, für die Evolution der Kulturen.

Ich schreibe noch immer in dieser, von mir geliebten und einzig „beherrschten“ Sprache, diesem störrischen Esel, der doch so schön immer wieder blökt. Und wie ich mich nicht davon abbringen lasse, bin ich deutsch, so deutsch wie meine jüdischen Väter, die Adornos, die Brechts.

Aber wird mir einst, was Brecht sagte?: „Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut …“ Gegenwärtig genau diese Flut, die „aufgeklärt“ brandet, in der ich versinke, die so mittelaltert wie die Kreuzzüge. Ein Glaubenskrieg ohne Glaube, ein Kopf ohne Tuch, ein Argument mit nichts als fremdenfeindlichem Ressentiment.

Das ist schon längst nicht mehr mein Land, nicht Heimat. Seit zwei Jahrzehnten. Ich bin sein Fremder, glücklich in seinem ihm verlorenen Land, der seine Fremde so sehr liebt. Und sie sagen wird, in seiner Sprache, seiner Gegenkultur, seiner Häresie, gewirkt in sein Kopftuch, in seiner Würde wie die nicht-deutschen Freien, Gleichen und Brüder und Schwestern antastbar.

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3 Antworten zu Di, 12.10.10 (Mi, 13.10.10, 4:53): (Fremder) Friedrich 2.0 (2)

  1. Hallo, ich verstehe die Überschriften nicht und bevor ich weiter rätsele, frage ich lieber offen nach:
    Di, 12.10.10 (Mi, 13.10.10, 4:53): (Fremder) Friedrich 2.0 (2)
    – Warum gibt es zwei Datumsangaben und eine davon mit Uhrzeit?
    – Weshalb steht in Klammern das Wort “Fremder”?
    – Und weshalb steht hinter Friedrich 2.0 noch einmal eine “2” in Klammern?

    Ich habe es gemeinsam mit einer Freundin gelesen, aber wir sind nicht darauf gekommen, wie die Überschriften zu deuten sind.

  2. oegyr sagt:

    Datum 1 ist der Tag des Tagebuchs, Datum 2 gibt an, wann der Text geschrieben wurde (Beginn des Schreibens an diesem Text). Danach folgt die eigentliche Überschrift des Texts. Dieser ist der zweite Text aus der Reihe “Friedrich 2.0” (daher die 2 in Klammern hinten). Und weil es um Fremdheit geht und es schön alliteriert, steht davor der “fremde” Friedrich. Ich gebe zu, das ist bissl komplex und nicht sehr lesefreundlich. 🙂

  3. Hah! Jetzt hab ichs gerafft, danke schön.
    Und schon komme ich besser hier zurecht.
    Eine schöne Woche wünscht Svenja

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