Do, 21.10.10 (Fr, 22.10.10, 4:13): Der Ghettoblaster widerspenstige Zähmung

„Die immer wieder als Rechtfertigung für ausgewachsenen Mumpitz angeführte „Gegnerschaft“ oder „Dissidenz“ ist ein holistischer Trivialismus, mit dem die, die nichts können, ihre Versuche zu Kunst umklassifizieren“, schrieb W.T. im tage-bau.de als Antwort auf meinen Kommentar zu seinem Beitrag „Poetologie vs. Literarizität oder: Warum Kunst von Können kommt“. Denke darob, gleichwohl abseits dieser Polemik nochmal nach über die eventuelle Posenhaftigkeit der „Dissidenz“. Und komme zu dem Schluss: Stimmt, wenn Dissidenz zum T-Shirt-Label wird. Und finde (weil ja immer alles mit allem zusammenhängt) dafür in der heutigen Arbeit einen Gewährsmann: Verschriftung des vorgestern geführten Interviews mit Dendemann:

— snip! —

„Rock und Rap sind richtig gute Kumpels!“

„Immer zeitlos, doch niemals hinter dem Trend“ sieht sich Deutsch-Rapper Dendemann auf seinem neuesten Album „Vom Vintage verweht“. Auch äußerlich hat er sich dort vom Rapper zum 80er-Rocker verwandelt: Jeans-Jacke, „Vokuhila“-Frisur, Pornobalken und einen Walkman in der Hand. Szenen-Mitarbeiter Jörg Meyer sprach mit ihm über diesen Wandel und die natürliche Nähe von Hiphop und Rock’n’Roll.

Vom Rap zum Rock zum Retro, zurück in die 80er – wie kam es zu dieser „Kehrtwende“?

Das ergab sich 2008, als ich als Support von Herbert Grönemeyer die Chance hatte, mit einer Rock-Live-Band aufzutreten. Aus Funk wurde da Rock, das gefiel mir intuitiv. Aber ich fragte mich: Was hat das mit meinem eigentlich gar nicht so schlechten Hiphop-Hintergrund zu tun? Ich stieß auf die 80er, Run DMC und Beastie Boys, wo Rock und Rap richtig gute Kumpels waren, ohne einfach nur Crossover zu sein. Ich versuchte dann auf „Vom Vintage verweht“, diese Energie mit heutigen Mitteln umzusetzen, möglichst live und mit echten Instrumenten. Allerdings ist das nicht Retro. Ich bin „retro-allergisch“, deshalb wollte ich die Einflüsse aus der Zeit zwar nutzen, aber trotzdem eine Platte machen, die nicht vorgaukelt, von damals zu sein, sondern ganz klar eine von 2010 ist.

Du hast mal gesagt: „Hiphop ist ein Arschloch!“ Ist das also auch eine Gegenbewegung gegen aktuellen Hiphop, der ja im Gegensatz zu deiner Reim- und Wortspielkunst oft mit platten Gangsta-Attitüden daherkommt?

Überhaupt nicht. Es ist eher eine Abneigung gegen die musikalische wie modische Stagnation im Hiphop. Hiphop ist – abgesehen vom Rock’n’Roll – die einflussreichste und langandauerndste Jugendkultur. Es hat mich wahnsinnig gemacht, dass sie in ihren immer gleichen XXL-T-Shirts und Gangsta-Gesten derart auf der Stelle tritt. Ich rette Hiphop, indem ich diese Verkrustungen aufbreche, musikalisch wie vom Outfit her. Ich möchte, dass diese, meine liebste Kultur ewig bleibt, deshalb muss ich Hiphop und mich in Bewegung halten.


Der Ghettoblaster widerspenstige Zähmung mit rockigen Gitarren: Rapper-Songwriter Dendemann (Pressefoto)

Dein Song „Endlich Nichtschwimmer“ geht in diese Richtung, da heißt es: „Ich bin kein Freischwimmer, ich bin Badewächter, endlich bin ich angekommen, endlich wieder Land gewonnen.“ Bist du der Badewächter am Hiphop-Haifischbecken?

Schöne Metapher. Das Aggro-Anti-Verhalten bringt den Hiphop nicht mehr weiter. Man muss mal auf den Beckenrand krabbeln und sich den „Teich“ von außen anschauen. Extremismus, egal wie edel seine Motive sein mögen, ist nicht der Weg, zumal wenn er nur noch unreflektiert wiedergekäut wird. Ich besann mich auf meine Zeit im Sauerland, wo ich herkomme und wo Berlin wie Stuttgart und Mannheim weit weg waren und ich mir die Rosinen herauspicken konnte.

Wenn man dich in eine Schublade stecken sollte – wäre „Singer-Songwriter“ ein brauchbares Etikett – oder gar „Grönemeyer des Rap“?

Gern, nehme ich beides mit Kusshand! Wenn ich das Etikett beschriften dürfte, würde ich „Rapper-Songwriter“ schreiben. Darum geht es, etwas Teilenswertes mitzuteilen, um das Singer-Songwriting, das neben Grönemeyer etwa Funny van Dannen, Bernd Begemann oder die Hamburger Schule entwickelten. Das wurde zwar zunehmend kompliziert vom Zynismus her, aber auf angenehme, mir nahe Weise.

— snap! —

Als müsste auch die Widerspenstigkeit zuweilen gezähmt werden, um widerspenstig zu bleiben. ((Brecht: „Auch der Haß gegen die Niedrigkeit / Verzerrt die Züge. / Auch der Zorn über das Unrecht / Macht die Stimme heiser.“ – mehr von den als „An die Nachgeborenen“)) Die Rettung der Dissidenz vor der eigenen, sich selbst vorgegaukelten Courage. Kunst: die unabdingbare Dauerreflektion über sich selbst und den Begriff ihrer selbst. Oder wie Dendemann sinngemäß sagte: Die Bewegung muss in Bewegung bleiben.

Also den Ghettoblast meiner Gegnerschaft zeitweilig taktisch vorübergehend ge-mutet (statt weiter zugemutet) und mal wieder (bereits gestern, gerockt sonettend) die Gitarre aus dem verstaubten Futteral geschält. Dazu am Lagerfeuer, dem Es[b/pr]it-Brenner im nächtlichen Ghetto der Gefangenschaft in mir selbst, Revoluzzersongs verräterisch leise gesungen – im Mumpizzicato.

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2 Antworten zu Do, 21.10.10 (Fr, 22.10.10, 4:13): Der Ghettoblaster widerspenstige Zähmung

  1. Walther sagt:

    moin ögyr,
    in der tat lässt sich alles mit allen labeln. ich vertraue solchen labelungen nicht mehr. die beliebigkeit des kunstbegriffs hat ihr übrigens getan. kunst ist kunst, weil sie kunst ist. eben.
    lg w.

  2. Pingback: Mi, 27.10.10 (Do, 28.10.10, 3:55): Besenrein | schwungkunst.blog

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