„Mich reißen Ströme nur mit, keiner bin ich“, legte ich Volker MERz in den Mund, auch so ein alter ego, so „Literatur“. Heute passt das aber wieder, denn was am Tag geschieht, durch was die Zeit strömt, bin ich nicht nur nicht, es scheint auch ganz abständig. Der „stream of consciousness“ plätschert (oder auch schwojt) in entfernten Nebenarmen. Etwa grübele ich über eine Eigenart ihres Sprechens. Sie sagt z.B. „Ich mag einen Cappuccino“ statt „Ich möchte einen Cappuccino“. Mögen und Wollen treten dabei in Bedeutungsschwingung. Wenn ich als Kind kundtat, dass ich etwas wolle, wurde ich ermahnt, ich solle nicht „Ich will“, sondern „Ich möchte“ sagen, das sei höflicher. Noch höflicher: „Ich möchte bitte“. Auch zum Bitten beim Wollen, genauer: beim Mögen, wurde ich ermahnt. Sie sagt nun: „Ich mag ins Kino gehen“. Das ist noch höflicher, noch weniger drängend, es drückt lediglich eine Vorliebe aus, kein bestimmendes Wollen. Der Satz ist vorsichtig. Auch sage ich bei einer Bestellung: „Ich hätte gerne eine Pizza soundso.“ Mein Wunsch steht im Konjunktiv, es ist auch nur ein Wunsch, kein als solches formuliertes Wollen. Wünsche können nicht in Erfüllung gehen. Sogar oft erfüllen sie sich nicht oder werden nicht erfüllt. Die Enttäuschung ist schon im Möglichkeitssinn des lediglich Mögens eingebettet. Eine Art Bescheidenheit, eine Entschuldigung für das Wollen, Begehren. Ich drehe ihren Satz versuchsweise um: „Ich mag dich nicht.“ Und das klingt ungleich ernüchternder, bestürzender als „Ich will dich nicht.“
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