Do, 06.02.2020, 22:12

In der Therapie wird manchmal von „Glaubenssätzen“ gesprochen, von Sätzen, hinter denen ein Verhaltensmuster steht, das man unhinterfragt wiederholt, z.B. der Klassiker „Ich bin nichts wert.“ Einer meiner Glaubenssätze, der dieser Tage bei mir wieder schwer en vogue ist, lautet: „Wie man’s macht, macht man’s verkehrt.“ In der Tat bin ich im Denken, Gesprächen und Tun sehr verunsichert. Nichts scheint mir stabil, durchdacht, alles wacklig, unklar. Wie die Sucht selbst hat auch ihre Therapie alles in Frage gestellt, Fundamente erschüttert, muss ich mich selbst „neu (er-) finden“ (und weiß nicht mal, ob ich eigentlich auf der Suche bin, was ich früher gern behauptete). Da ich dazu neige, in Parenthesen und Metaebenen zu denken, ist selbst der Glaubenssatz „Wie man’s macht, macht man’s verkehrt.“ fragwürdig, wenn nicht sogar „verkehrt“. Abgesehen von einem Zirkelschluss (wenn’s dann einer ist) und der Geste der bedingungslosen Kapitulation erkenne ich darin mehr noch meine Zurückweisung der Verantwortung für das, was ich denke, spreche und tue. Wenn ohnehin alles verkehrt ist, was man macht, entbinde ich mich mit solcher Kapitulation der Verantwortung für das, was ich dennoch mache – oder mache einfach nichts, verharre, weil jeder Fortschritt Rückschritt wäre.

Zugleich erscheinen mir solche Unbedingtheiten als attraktive Denkstruktur, sie sind gewissermaßen radikal, und im Radikalen (und somit einem Maßlosen) fühlte ich mich schon immer einigermaßen wohl. Das ist das Muster der Sucht, das sich bis ins Denken fortsetzt. Und genauso hänge ich der Sehnsucht nach IHR an, eben weil sie sich nicht erfüllt und diese Liebe (z.Z.) nicht möglich ist – außer in Projektion und damit missbräuchlichem Umfeld, also (im Wortsinne) „ver-kehrt“. Ich habe den Impuls, SIE anzurufen, wie schon lange geplant, weil es verkehrt sein könnte, mich nicht bei ihr zu melden, und rufe sie nicht an (schreibe nicht mal mehr), weil ich im Gespräch etwas Ver-kehrtes sagen könnte, was die Beziehung noch unmöglicher macht. Es folgen Lähmung und Verstummen.

Früher half in solchen Dilemmata das maßlose Schreiben an diesem einerseits öffentlichen (von IHR eventuell dennoch lesend aufgesuchten – so meine Hoffnung) Ort, einer Textabwurfstelle, die andererseits so „geheim“ ist, dass sie sich als Versteck für Kassiber und Flaschenpost eignet. Ich verrate auch möglichst wenigen Menschen, dass ich hier wieder schreibe, insbesondere L. nicht. Es ist ein Ort der Dunkelheit, und ich soll doch „am Licht bleiben“. Allein, das blendet mich.

>> 06.02.2010
>> 06.02.2000
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