Mo, 17.02.2020, 22:12

Auf dem Rückweg von der Gruppentherapie bin ich unzufrieden. Ich glaube, mit mir. Ich glaube, damit, dass ich mich seit Monaten um mich selbst drehe. Zwar ist das (so nehme ich an) therapeutisch gewünscht, und da ich ein vorbildlicher Patient sein will, folge ich diesem Wunsch – manche nennen es Herausfordeung – in für mich üblichem vorauseilenden Gehorsam. Aber ich beziehe ständig alles, was die Mitpatient*innen erzählen, auf mich, indem ich nachfühle, was das „mit mir macht“. Das ist (aus meiner Sicht) das kleine Einmaleins der Gruppentherapie: voneinander lernen, empathisch sein usw. Problem ist jedoch, dass ich in der Teilhabe an den Problemen anderer das Wahrgenommene derart „in meinem Herzen bewege“, dass ich es dort durch den Ich-Wolf drehe und dann verdreht – über das Spiegeln weit hinaus, nämlich verzerrt – zurückprojiziere. Zum Beispiel antworte ich auf die Erzählung von Beziehungsproblemen einer Mitpatientin, die, wie sie sagt, auf der Bedürftigkeit (und damit fehlender „Männlichkeit“ und Eigeninitiative) des neuen Partners beruhen, indem ich sage, dass mich das insofern sehr „anfasse“, als ich das von mir selbst kenne, nämlich Frauen immer wieder mit meiner Bedürftigkeit in eine Mutterrolle dränge. Die Mitpatientin nickt freundlich, scheint aber (mit Recht) ratlos, inwiefern das jetzt sie und das von ihr Berichtete betreffe. In all meiner Ich-Projektion lasse ich auch weg, es ist mir in dem Moment gar nicht gegenwärtig, dass ich diese Frau auf meinem Möglichkeits-Radar habe, sprich mir ausgemalt hatte, ob ich mich in sie verlieben könnte. Mir ist (in dem Moment) auch unklar, dass mein Möglichkeitssinn diesbezüglich enttäuscht wird, wenn sie berichtet, dass sie Beziehungsprobleme mit einem Mann hat, der so ist wie ich, nämlich bedürftig und abwartend ohne Initiative. Andererseits rede ich mir ein, dass ich ja immerhin in Betracht gekommen wäre, da sie ja jetzt jemanden „wie mich“ hat …

Ich bin auch mit mir unzufrieden, weil ich mir nur einrede, dass ich diese verschnörkelten Wechselwirkungen durchschaue und in der Lage wäre, sie analytisch aufzudröseln. Das ist eine Art Denkfaulheit oder auch -kapitulation, die ich bei meinem Schreiben seit langem (wenn nicht schon immer) beobachte. Dass ich nicht literarisch erzählen, keine schlüssigen Figuren konstruieren kann, nicht den Atem zu einem größeren dichterischen Entwurf habe, erklär(t)e ich mir damit, dass „Erzählen“ an sich, zumindest das lineare, seit der Moderne nicht mehr möglich, dass vielmehr alles Collage von Snapshots sei. Mein künstlerisches (und denkerisches) Unvermögen mache ich so zum poetologischen Ansatz (und zum grundsätzlichen erkenntnistheoretischen Problem in den „finsteren Zeiten“ nach dem „unvollendeten Projekt Moderne“). Ein intellektuell hübsch gedrechseltes Hohelied auf die Verunklarung, geboren aus fehlender Klarheit meines Blicks auf Welt durch die (wohl eher trügerische) Brille „Ich“.

In Höhe Exerzierplatz auf die heimatliche Straße einbiegend, denke ich – erneut im Modus Selbstdemontage und im Glaubenssatz-Mantra „Ich versage“: Alles, was ich denke, fühle, mit und in mir „verhandele“ / ventiliere, ist bloß heiße Luft. Genauer: lauwarme! Über das kleine Bonmot (vermeintlich selbstironisch) bin ich dann immerhin verschmitzt froh. Es ist mein Ticket für die Nacht.

>> 17.02.2010
>> 17.02.2000
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