Mo, 01.06.2020

Das trägt dann manchmal seltsame Blüten: Ich beschäftige mich mit dem ältesten Sohn von Johann Sebastian Bach, Wilhelm Friedemann Bach. Der konnte sich künstlerisch nie ganz entfalten, weil der Schatten des Vaters zu mächtig war. Das spricht meine Narrative von eigener Mittelmäßigkeit an, die ja nur eine Verhinderung der Entfaltung ist (sie als solche anzuerkennen wäre Kapitulation). Der Künstler, der nicht zu sich kommt, statt dessen schrullig und unduldsam wird – und sehnSÜCHTIG.

Im Wikipedia-Artikel finde ich dafür schöne Worte, die ich sofort auf mich beziehe: Von Gustav Schilling wurde Friedemann Bach „sein roher Sinn, sein starrer Künstlerstolz, seine ungeheure Zerstreutheit und sein mürrisches, zanksüchtiges Wesen, das im Trunke, dem er ergeben war, alle Rechte jeder Bürgerlichkeit und Ordnung verletzte“, nachgesagt. Wikipedia weiter: „Indem Bach versuchte, den musikalisch konservativen Geschmack der ihn zunächst protegierenden preußischen Prinzessin zu treffen, verfehlte er denjenigen seiner übrigen Zeitgenossen. Dies trug ihm zusammen mit einer gewissen Ungeschmeidigkeit des alternden, verarmenden Mannes die Gegnerschaft von Musikern wie … Carl Friedrich Zelter ein.“ Letzterer schrieb 1829 an Goethe, wie Wikipedia ebenfalls kolportiert: „Als Komponist hatte er den tic douloureux, original zu sein, sich vom Vater und den Brüdern zu entfernen, und geriet darüber ins Pritzelhafte, Kleinliche, Unfruchtbare …“

„… gewisse Ungeschmeidigkeit des alternden … Mannes“, Pritzelhaftes, Kleinliches, Unfruchtbares“, alles wundervolle Worte auf die Gebetsmühlen meiner Selbstzermahlung.

Jede Menge frühromantischer Genie-Kult-Legendenbildung, die sich, so berichtet Wikipedia ebenso, vor allem durch die Romanbiografie „Friedemann Bach“ von Albert Emil Brachvogel verfestigte, noch mehr durch deren gleich titelnde Verfilmung von 1941 unter der Regie von Traugott Müller und mit Gustaf Gründgens in der Hauptrolle. 1941! – Das ist ideologiekritisch unbedingt interessant, habe ich mir sofort bestellt.

>> 01.06.2010
>> 01.06.2000
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