So, 02.08.2020

Erzählen 3.0: Im Telefonat mit IHR erzähle ich vom Erzählen, genauer: meiner Schwierigkeit, etwas zu erzählen. Diese Schwierigkeit besteht nicht darin, dass ich nichts von mir erzählen mag, sondern dass ich mit dem Modus Erzählen nicht erst neuerdings ein grundsätzliches Problem habe. Schon früher interessierten mich linear erzählte Texte wenig. Erst wenn sie das Erzählen problematisierten und daraus neue Formen des (nicht-linearen) Erzählens entwickelten, etwa Joyce im „Ulysses“ oder Arno Schmidt mit seiner Mehrspalten- und Snapshot-Texte. Ich benannte diese Schwierigkeit mit „Ich habe nichts zu erzählen“ (vielleicht sogar „nichts zu sagen“). Nur im Traum gelingt es mir, wenigstens mir selbst etwas zu erzählen. Im Moment des Aufschreibens (oder Diktierens in die Stenorette) kurz nach dem Aufwachen aber löst sich die zu erzählende Traumgeschichte auf. Wie bei der Unschärferelation, wo Ort und Impuls nicht gleichzeitig exakt bestimmbar sind, immer nur eines von beiden, wo also der Messvorgang die Messung verfälscht, unscharf macht, zerstört der Vorgang des Erzählens die zu erzählende Geschichte. Ich bin mir nicht sicher, ob das nur ein Phänomen mangelnder Konzentration bzw. mangelnden (Selbst-) Verständnisses ist. Womöglich entsteht das Problem auch, wenn ich mein Leben lebe, indem ich es erzähle, das Leben aber andererseits nicht erzählbar (also nicht lebbar?) ist, jedenfalls nicht linear, nicht scharf abgebildet (und abbildbar).

SIE hört sich das geduldig an, wenn ich so ins Theoretisieren gerate, wenn ich poetologische Ontologie betreibe. Sie hofft wie ich, dass sie dabei etwas von mir erfährt. (Wir beide mögen die Frage „Wie geht es dir? Was machst du?“ nicht.) Hinterher fühle ich mich verheddert wie nach dem vergeblichen Versuch, einen Traum aufzuschreiben.

>> 02.08.2010
>> 02.08.2000
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