Di, 04.08.2020

Nachtrag zu gestern: Ich dachte nochmal über meine Sehnsucht zu IHR nach und stellte fest, dass da sehr viel Projektion am Werke ist. Am Anfang war nur meine Verliebtheit, das ungestüme Begehren (und die waren noch am authentischsten, weil lebendigsten). Als sich das nicht befriedigen ließ, benannte ich es in das Abstraktum „Liebe“ um. Ein Komplex und Geflecht aus mehreren Vorstellungen, Narrativen und jeder Menge Ideologie, das ich fortan auf sie projizierte, um das Gefühl der Enttäuschung (wegen des unvollkommen befriedigten Begehrens) zu betäuben – (Sehn-) Suchtverlagerung. SIE sagte auch mal, es war ganz am Anfang, dass sie nicht so romantisch sei wie ich. Sie kann sich nämlich in ihrer bedrückenden Situation keine Romantik (kein „Wegdriften“, wie sie es nennt) leisten. Mir ist jetzt klar, dass eins sich Sehnsucht leisten können muss und dass einer wie ich, alleinstehend ohne Verantwortung für ein Kind, finanziell und mit schon ein ganzes Stück abbezahlter Eigentumswohnung einigermaßen abgesichert (mit einiger Wahrscheinlichkeit selbst fürs Alter), ungemein privilegiert ist. Leid als Luxus. (Das Sein bestimmt bekanntlich das Bewusstsein, wofür obiges ein treffliches Beispiel ist.)

Am Nachmittag erforsche ich weiter meine Befindlichkeit, projiziere sie fleißig in das Alltagserleben. Kurze Déjavùs flammen auf, etwa die angenehme Frischluftmüdigkeit und von der Sonne nachglühende Haut, die ich früher abends in den Sommerferien hatte, nachdem ich den ganzen Tag am Strand oder im großelterlichen Dessauer Garten verbracht hatte. Dies synästhetisch und schwer in Worte zu fassen, unsagbar (auch so ein Luxusproblem). Ich verfalle auf die Idee, die sich schon durch das ganze vorliegende di.gi.arium spult, nämlich dass ich das „Unsagbare“ besser im Bild erfassen, genauer: inszenieren könnte. Und zwar von Vorgefundenem. Auf dem Weg vom Einkaufen zwei Fotos in die Schaufensterdekoration zweier Boutiquen:

Die Schwere des Kapitells der Säule des Tempels der Projektion der Sehnsucht

und die (Zen-) Leichtigkeit des milden Schattens eines Papierschirms (oder der sich drehenden Schirme lustwandelnder Damen in der Szenerie eines hochsommerlichen Barock-Gartens à la „Die Wahlverwandschaften“).

>> 04.08.2010
>> 04.08.2000
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