Do, 27.08.2020

SIE hat offenbar eine besondere Antenne, denn zum wiederholten Mal stellt sie zur richtigen Zeit (genau dann, wenn mich diese Frage auch umtreibt) die richtige Frage: „Warum schreibst du Tagebuch?“ (Umso virulentere Frage, als mir das tägliche Aufschreiben so schwer fällt. Warum setze ich mich damit unter den Druck des Unwillens?)

Antworten:

  1. Das d.day-Projekt ist eine Art Langzeitbeobachtung mit auto-dokumentarischem Wert. In Fortsetzung der di.gi.arien von 2000 und 2010 wollte ich 2020 nicht aussetzen.
  2. Das d.day-Projekt ist mir vertraut in seinem abschätzbaren (Schreib-) Aufwand. Da ich seit der Abstinenz unter Schreib- und überhaupt Kreativitätshemmung leide, schien es mir wegen dieser Vertrautheit des Modus und der Form das geeignete Feld, um überhaupt wieder ins Schreiben zu kommen. Ich habe nichts zu erzählen, allenfalls noch von mir selbst in der besonderen Situation der fortgesetzten Abstinenz. Und das lässt sich allenfalls in einem Tagebuch erzählen.
  3. Eng verbunden mit dem d.day-Projekt ist das Konzept „pretty public privacy“ (ppp). Es war 2000, als es noch keine Social Media gab, ungemein innovativ, ja sogar revolutionär, was Selbstinszenierung und Medialisierung der Person und die damit verbundenen individuellen und gesellschaftlichen Fragen betrifft. Inzwischen ist ppp von den Social Media längst eingeholt, sogar überholt. Dennoch ist interessant, wie sich ppp in Parallelität und Konkurrenz zu den Social Media entwickelt, durchaus auch in einer Bewegung zurück in die Privatheit (hier, indem das di.gi.arium bestimmte Themen ausspart, „für sich behält“). Insofern ist das d.day-Projekt ein Soziales Experiment (in Tradition Brechts), das noch nicht beendet ist, ein unvollendetes Projekt (wie die Moderne). Ich sah daher eine gewisse Verpflichtung mir und meinem Werk gegenüber, das d.day-Projekt fortzusetzen.
  4. Tagebuch schreiben (wobei ich im diesem Zusammenhang lieber von aufschreiben spreche, also nicht im Sinne der Schöpfung eines Textgebildes, sondern eher des schriftlichen Protokolls) schafft eine gewisse äußere Struktur des Seins und Erlebens. Im Zusammenhang der Therapie war es stets wichtig, Strukturen jenseits der Struktur Sucht zu etablieren. Das d.day-Projekt erzeugt zumindest äußerlich so eine Struktur, auch wenn die sehr wahrscheinlich (wie sich mehr und mehr zeigt) von den alten Strukturen vergiftet ist.
>> 27.08.2010
>> 27.08.2000
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