Mo, 24.5.10 (Di, 25.5.10, 6:35): Melancholische Minimalmuster

Im Prinz Willy, Fritz-Kola, wartend auf den heute zu besprechenden Gig. Derweil endlich mal wieder lesen, Goetz: “Klage”, S. 14, passt:

Vom Gemeinsamen beaufsichtigt: das eigene Handeln, man muss es nur tun, nicht auch noch selbst überwachen. Der Text will aber unüberwacht agieren, absolut autonom. Dabei bringt er einen Autismus der Lebensführung hervor, an dem er selber erstickt.

Bin noch ganz betäubt davon, wie dieser TEXT.über.TEXT auch die (noch anderswo ausführlicher endlich mal zu behandelnde) Problematik des di.gi.ariums auf den Punkt bringt, da geht plötzlich die Musik los.

Also sofort notizverhaftet:

— snip! —

Minimalistische Melancholien

Mimes of Wine sangen im Prinz Willy am Rand der Apokalypse.

Kiel. “Apocalypse Sets In” heißt das vor genau einem Jahr beim Indie-Label Mindfinger Records erschienene Album von Mimes of Wine nicht von Ungefähr. Wenn die Sängerin und Pianistin Laura Loriga aus Bologna und ihr multiinstrumentaler Duo-Partner Amir Mogharabi aus Los Angeles im Prinz Willy daraus singen und spielen, bleibt vom pfingstlich ausgegossenen Heiligen Geist nur eine geisterhaft melancholische Spur.

Lauras metaphern- und bilderreiche englische, zuweilen auch französische Texte drehen sich um Abschiede, um Aufbrüche ohne in Aussicht stehende Ankunft, um tränenverregnete Sonntage und die dazu passenden Stimmungen, ums Suchen um des Nicht-Findens willen. Ein lyrisches Mantra, das in jedem Song ganz bewusst recht ähnlich klingt, weil es das immer gleiche Gefühl von existenzieller Verlorenheit in seinen potenziell unendlich zahllosen Schattierungen auslotet. Auch die Musik, Lauras Klavierbegleitung und Amirs Soundscapes auf Flöte, Akkordeon, Dulcimer sowie Glockenspiel und Klangschalen, hat so etwas minimalistisch Kreiselndes um ein melancholisches Gravitationszentrum.

Meist wenig aufschlussreich sind die “Klingt wie”- oder “Einflüsse”-Listen auf Myspace-Seiten, bei Mimes of Wine dagegen geben sie sehr gut die avantgardistische Richtung vor, listen sie doch neben Namen wie Meredith Monk, John Zorn oder Sonic Youth auch Eric Satie auf. Der Klavierexzentriker scheint mit an den Tasten zu sitzen, wenn ihnen Laura ihre quirlig grollenden bis klingelingischen Loops einbläut.

Zwischenzeitlich löst das beim Zuhörer auch eine gewisse Langeweile aus – allerdings die gute, in meditative Zustände versetzende Langeweile, dies leer Werden, um noch besser zuhören zu können. Wem das zugunsten einer gewissen Schläfrigkeit nicht gelingt, den weckt Lauras intensiver Sirenengesang, wenn er sich aus Murmeln, Raunen und Flüstern in hymnische Höhen schwingt. In eine Exaltiertheit, die trotz Lautstärke dennoch eine seltsam zurückhaltende Zartheit bewahrt. Als behalte das Dunkel, das ihre Texte durchwebt, auch im Strahlen noch seine Macht.

Und weiter gehen die “silly mirror games”, die liebessehnsüchtige Erhitzungen auf Distanz der Bilder und Gefühlsprojektionen halten, brechen sich die Glanzlichter in apokalyptischen Lupen, die Laura auf das leise Leid hält. Um aus diesem Trott plötzlich und unvermutet in einen geschwinden Foxtrott zu gleiten, zu schön freilich für die Wahrheiten der Melancholie.

Nach 45 Minuten melancholischer Intensitäten, manchen Herzzerreißungen, die so klingen, als rieselte – mitten im Frühling – irgendwo ein Herbstblatt zu Boden, weil sich Herbst schon immer auf Herz reimte, bleibt man als staunender Zuhörer zurück in einer Stimmung, die etwas minimalistisch Reduziertes hat. Ein Zustand kurz vor Dämmer und Traum und doch erleuchtet “from your golden heart, from the ground”.

— snap! —

Passt.

Wie dies, geknippst rechts von mir, der Mantrablick währenddessen auf die Tapete an der Säule in der Mitte des Prinz Willy.

Melancholie. Muster. Fritz-Kola gezischt, noch eine, als Trost.

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