Mo, 27.12.10 (Mi, 29.12.10, 18:00): Dauerbeschäftigtes Warten

Poetisch über Poesie in KN geslammt …

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Gedränge an romantischer Spitze

Beim Jazz-Slam im STATT-Café waren Text und Musik ganz vorn am Dasein.

Kiel. „Seien wir mal wieder Hippies und teilen den Sieg“, dekretiert Björn Högsdal, Moderator des 2. Jazz-Slam im bis an den Kulturtresen engst bevölkerten STATT-Café im KulturForum. Sechs Slam-Poeten, kongenial begleitet vom STATT-Café-Jazz-Duo Axel Riemann (Keyboard) und Peter Weise (Drums), heimsen Höchstwertungen der Publikumsjury ein, so dass es an der Spitze des romantischen Poetry Slammens mit jazzigen Soundtracks hauchdünn wird.

Jede Publikumswertung an diesem Abend liegt über den durchschnittlichen 5 von 10 Punkten. Letztere Höchstpunktzahl wird verdient mehrfach vergeben, denn die Poeten und Poetinnen laufen hier zu literarischer, nicht bloß slammender Höchstform weit über dem Mittelmaß auf. Liegt das am Jazz, den Weise und Riemann den Poemen atmosphärisch treffend unterlegen? Bestimmt, aber auch die Texte für sich genommen sind dicht an den Ecken und Kanten der von ihnen aufgespannten Räume. Eigentlich nur ein Lückenbüßer, sind Rasmus Blohms binnengereimte Balladen nicht nur formal der Abräumer des Abends. Der zart und zerbrechlich anmutende Dichter findet einen hohen Ton für das Banale von den „Schweinehunden“ auf Noahs Arche bis zum „dauerbeschäftigten Warten“, mit dem wir im World Wide Netz nach Texten und deren romantischen Geborgenheiten auf der Suche sind. Bei ihm werden wir fündig, sind die Reusen voll von gewitztesten Wortspielen, die ins freudige Finale verfangen. Mit ihm auf dem gleich hohen Siegertreppchen ist Schriftstehler: Sein Bild einer Familie wechselt dramaturgisch gekonnt die Stimmen zwischen Vater, Mutter und (einsamem) Kind und schöpft daraus den Trost, dass wir in unserer dortigen Verlorenheit wie unter anderen mephistophelischen Verwandten Gemeinsame sind.

Von Punkten her nur wenig dahinter entfaltet Katharina Brutscher das betörende Porträt einer Amour fou, die ebenso romantisch entrückt ist, wie sie ganz fleischlich herzblutet. Clara Nielsen beschreibt solch unendliches Sehnen in den Chiffren der Jahreszeiten, mal schwelgend in, mal hassend die nur vermeintlichen Frühlinge und zu hitzigen Sommer, die in verwaiste Winter des Liebeslebens münden. Stefan Schwarck blickverwinkelt unsere latte-macchiatidiotisierten Kaffehausgemütlichkeiten hin auf den anstehenden Aufstand der „Wutbürger“ gegen all ihre Anständigkeiten und räumt den Blues-Bars des Daseins den leer gestürmten Raum ein. Nicht weniger politisch textet Dominik Bartels unter seiner Revoluzzer-Kappe gegen die Zeitgeister an, die eben keine Wunden heilen, es dei denn ins Selbstvergessen.

Wenn Rasmus Blohm im Finale die Liebe als Schokolade besingt, als Konfiserie der leckerzüngelnden „Eck-Sistenz“, ist uns die Jazz-Poesie so kandiert, dass wir sämtliche Kandidaten mit dem Zucker unseres Beifalls überschütten – beglückt vom Gedränge bedrängender Dichterworte und einer Musik, die darauf das romantisch, bittersüß auf die Spitze getriebene Sahnehäubchen setzt.

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