Do, 16.9.10 (Sa, 18.9.10, 4:27): Rettungsschirm Respekt

Tauche bisschen ab. Will nichts wissen, nicht da sein. Derweil entfalten sich die Rettungsschirme. C.S. und I.D. helfen geldlich aus, anweisen Care-Pakete. Das rührt mich, ach, die Freunde. Dennoch ungerührt von mir selbst und mir selbst viel weniger Freund und besorgt. Bis abends der olle KN-Job mal wieder die Leviten liest, mich Theater anders seiend aus ihm entlässt, als ich war, als ich lustlos hineinging. Plötzlich mich wieder gespürt, als Wahrnehmenden, minutiös, präzise, urteilskräftig. Respekt wieder vor mir selbst, gewonnen von den Freunden. In den Herzkassibern von 2001 gewühlt, die eieruhrigen Stenosen nochmal studiert. Wiedermal von der Schippe genippt, dann aber gesprungen. In diesen KN-Text über das Sein, über das Multiple der Masken und Personen, das Lillys Nachdenken mich lehrte.

— snip! —

Entwürfe der Geworfenheit

Premiere beim Theater Die Komödianten mit Anne Hartens Solo „My name is Peggy“

Kiel. „Tun Sie auch immer so, als ob Sie wären, wie Sie sind?“, fragt uns Peggy gegen Ende von Marc Beckers Monodrama „My name is Peggy“. Die Frage eines begründeten Selbstzweifels, der nun auch uns Zuschauer im Theater Die Komödianten ergreift, nach einer guten Stunde auf tiefsinnige Weise naiven Nachdenkens über eine der wichtigsten Lebensfragen: Wer bin ich?

Trotz solchen erkenntnistheoretischen Schwergewichts bringen Anne Harten als Peggy und Regisseur Christoph Munk einen ungemein vergnüglichen Solo-Abend auf die Komödiantenbretter. Anne Harten gibt der Figur jene mädchenhaft unbekümmerte Anmutung, die ihre subkutane Tragik erst richtig zur Geltung bringt. In einem verlassenen Biergarten, angenehm spartanisch bühnenbebildert von Bruno Giurini, wartet sie auf ihr Date. Einen Amerikaner, der ihren Hund überfahren hat und dem sie – frau kann sich ihre Herrenbekannstschaftsanlässe nicht aussuchen – ihre Telefonnummer gegeben hat. Aber er ruft nicht an und kommt auch nicht. So wartet sie weiter – auf das Leben und dass es ihr erklären möge, welchen Sinn es hat und wer sie ist, einfach indem es sich ereignet. Auf einem Notizblock plant Peggy ihr Date mit der Existenz, notiert sich akribisch „to do’s“ und „no go’s“ und lernt Englisch mit einem Kurs vom MP3-Player, um sich fit für den Smalltalk mit dem attraktiven Amerikaner zu machen.

Bei aller Koketterie und mancher selbstbewusster Zote aus dem Beziehungsweisheiten kundtuenden Mädchenmund bleibt das dennoch lebensängstliches Pfeifen im von den Hoffnungen und Träumen längst gerodeten Walde. Buchstäblich, wenn sich Peggy, die Arme in die Hüfte gestemmt, aufbaut, tief durchatmet und die Lippen spitzt. So hat sie es gelernt, vielleicht in irgend so einem Selbstbewusstseinsfindungsseminar. „Ich bin ein glücklicher Mensch! Ich weiß Bescheid!“, dekretiert sie. „Ich sehe zumindest so aus, als ob es mir gut gehen könnte.“ Doch immer nur für lange, selbstbetrügerische Augenblicke lassen sich die bohrenden Fragen und Zweifel verscheuchen. Fragen, auf die es keine Antwort gibt, außer das Leben gibt sie. Denn wie kann man wissen, ob man glücklich ist, wenn man gar nicht weiß, was Glück ist, und wer man selbst ist?

So entwirft Peggy weiter meist schrille Bilder von sich und der (Männer-) Welt, wirft sich in die Posen der Selbstprojektion, ja, spielt Theater mit sich. Das Leben ist ein einziges „als ob“ – wie auf einer Bühne. „Ich bin nicht ich, ich bin meine Wirkung“, weiß sie und gewinnt mit solchen Sätzen eine beinahe philosophische Dimension. Und eine, die die ganze Absurdität des Daseins aufscheinen lässt. Anne Harten spielt Peggy dennoch nicht als tragische Figur. Denn wo kann Tragik sein, wenn man gar nicht weiß, nach welchen Gesetzen sie funktioniert? Ein ebenso burlesker wie schüchtern-sehnsüchtiger Tanz um das Ich, das sich nicht fassen und selbsterkennen lassen will. Als Zuschauer macht einen das ein bisschen melancholisch – wenn man über solche Blicke ins Sein als Schein nicht immer wieder auch so strahlend lächeln könnte wie Peggy in Anne Hartens und Christoph Munks vielschichtigem Entwurf einer Figur, die wie wir alle ins Leben geworfen statt von ihm entworfen ist.

— snap! —

Schreibe das runter, ohne Pause, rauschhaft. Als wäre mir plötzlich alles klar. Durchschauung, Durchklingung, Per-sona(r). Moment, der mal wieder Ewigkeiten zu sehen glaubt, ewige Wahrheiten, den Bogen weit (über-) spannt. Naja. „Respekt, Meister, du tatest einen guten Jupp da.“ Das olle Verschreib-Zitat. Zufrieden in die sehnsüchtigen Daunen. Wissend, wie Zufriedenheit und Sehnsucht einander beschirmen und sich respektieren als Zweiheit, die jeder Einsamkeit vorausgeht und hinterherhumpelt.

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