Mi, 29.9.10 (Do, 30.9.10, 0:36): Auf verlierendem Posten

„Dabei wissen wir doch: / Auch der Haß gegen die Niedrigkeit / Verzerrt die Züge. / Auch der Zorn über das Unrecht / Macht die Stimme heiser. Ach, wir / Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit / Konnten selber nicht freundlich sein.“
(Bertolt Brecht: „An die Nachgeborenen“)

„Soldaten sind Mörder, sind Opfer“
(ögyr, Transparent auf Kieler Friedensdemos gegen den 2. Golfkrieg, 1991)

— snip! —

Was der Krieg mit den Menschen macht

Die Berliner lunatiks produktion hat für ihr Stück „einsatz spuren“ deutsche Soldaten und ihre Angehörigen interviewt.

Kiel. Als das Berliner Theaterkollektiv „lunatiks produktion“, das seit 2005 Theaterstücke zu zeitgeschichtlichen Themen produziert, vor einem Jahr mit seinen Recherchen zu einem Stück über die seelischen und sozialen Folgen von Krieg für Soldaten und ihre Angehörigen begann, durfte man das, was in Afghanistan unter Beteiligung der Bundeswehr geschieht, offiziell noch nicht Krieg nennen. Autor und Regisseur Tobias Rausch und Rechercheur Tobias Graf sehen nicht zuletzt darin eine Notwendigkeit, mit ihrem Stück „einsatz spuren“ Aufklärungsarbeit „gegen ein Tabu“ zu leisten.

Erst als im April deutsche Soldaten im Kampfeinsatz ums Leben kamen, rückte der ferne Krieg deutlicher ins öffentliche Bewusstsein – und wurde als Krieg wahrgenommen. „Was macht dieser Krieg mit den Menschen?“, fragten sich „lunatiks“ und wollten es aus erster Hand erfahren: von den Soldaten und ihren Angehörigen, die seit 2003, als bei einem Anschlag in Kabul die ersten deutschen Soldaten „fielen“, mit der täglichen Angst umgehen müssen. Mehr als 30 mehrstündige Interviews führten Graf und Rausch mit Soldaten und ihren Familien, auch mit zwei Witwen der 2003 getöteten Soldaten. Der Ansatz des Theaterkollektivs ist dabei weniger ein dokumentarischer als ein „ethnologischer Blick von außen“, so Rausch. Möglichst unvoreingenommen wollten sie „einfach nur ein Ohr sein“ für die Eindrücke der Kriegsheimkehrer, die, von ihren traumatischen Erlebnissen verfolgt, darüber in den Interviews häufig erstmals reden konnten. Ebenso die Angehörigen, die vom Einsatz gerade im Alltag in der „Heimat“ mehr betroffen sind, als man zunächst vermutet: „Die Familie geht mit in den Einsatz“, wusste eine Interviewpartnerin. Und ist ebenso traumatisiert, wenn die, die sich am Einsatzort „allein auf verlorenem Posten“ empfinden, nach der Rückkehr Mühe haben, sich in den „gewöhnlichen“ Alltag wieder einzufinden.

„Niemand kommt unverändert zurück – und das in eine auch veränderte Heimat“, resümmiert Graf viele der Interviews, die das Kollektiv zunächst komplett verschriftlichte, mit den Schauspielern des Kieler Ensembles las, und daraus wechselnde Theaterrollen entwickelte. So persönlich die Interviews waren, ging es dabei doch um das „Beispielhafte“ der individuellen Erfahrungen und Schicksale, die teils erzählend, teils in szenischen Skizzen verdichtet auf die Bühne kommen. Michael Böhler hat dazu ein reduziertes, multifunktionales Bühnenbild entworfen: Aus einem wohnzimmer-gemütlichen Flokati-Teppich erheben sich kastenartige Gebilde, die ebenso Schützengräben und Löcher in der Seele freigeben, wie sie ganz profan als Waschmaschine dienen, die keine helfende Hand in die Wohnung befördert, weil erstere in anderer Weltgegend eine Waffe führt.

„Es geht in diesem Krieg wie in diesem Stück um Leben und Tod“, sagt Graf. Dennoch wäre der Schluss, dass es sich um ein Anti-Kriegs-Stück handelt, zu kurz. Es ist ein politisches Stück über den Krieg und was der mit den Menschen im Privaten macht – auch mit uns Unbeteiligten, die sich dadurch hoffentlich mehr an der öffentlichen Diskussion darüber beteiligen.

— snap! —

So schrieb ich den KN-Vorbericht von heute. Ideologisch (geradewegs fröhlich) ungefestigt. Währenddessen läuft eine Doku über die Tschekisten-Genossen des ehemaligen MFS im nie mehr ehemaligen TV, die ich aufzeichne (und noch experimentalfilmisch verwerten werde).

Gehe nachmittags, noch schlafverwandelt und mit Coffein-Kunststoff-Getränken und Zahnpasta ins reale Leben zurückgepusht, ins stoffsammelnde Presse-Interview mit einer ziemlich konkreten Arbeitshypothese: Afghanistan-Einsatz der deutschen Soldaten-Mörder ist konkret abzulehnen. Kein Pardon mit den Mördern, die eventuell „Mores“ entwickeln. Ganz klare parteiische Linie: „Selber Schuld!“ Und: Journalismus, wie ich ihn verstehe, muss derart parteiisch sein.

Indes: Die nur vermeintlichen Genossen zerbröseln meinen verlierenden Posten. Schießen quer, also geradeaus. Demontage meines ideologischen Ansatzes. Das wird hier wesentlich anti-anti-kriegerischer heißer und heiserer gegessen, als ich es seit Monaten auf meiner (zu?) zärtlichen Flamme gekocht hatte.

Spüre auf einmal, mich nervend, die journalistische Verpflichtung zur idealistischen „Wahrheit“. Will bekennen: höre indes gebannt zu. Und vermelde also. Also spricht mein interner Zarathustra. Wahrheitet, wo er Wahrheit nicht vermutet, ihr noch eben gegenanschreiben will.

„de mortui nihil nisi bene“, „de morituri“ ebenso. Bin plötzlich auf der Opferseite der Täter, habe Mitleid mit Mördern. Und erinnere mich, wie ich dialektisch schon mal besser davor war. „MERz.Monstrum“, streng dialektisch: Das Sein bestimmt das Bewusstsein, also muss man das mörderische Sein erforschen, um das lebendige Bewusstsein zu erkennen!

Über die eigenen ideologischen Hürden springend wird plötzlich wieder der Mensch (auch in mir) sichtbar. Und „für die Menschen“ (Mielke: „Ich liebe doch alle Menschen!“) sind doch selbst wir einstmals angetreten. Für das Private, das im Politischen erst aufscheint, aufscheinen kann. Für das Verständnis und darob „Freundlichkeit“ gegenüber allem, was unsereinen verheert: Schmutziger nasser Sex, Krieg, Liebe, Tod, Über-Zeugung.

Soldaten sind Mörder, aber sie sind auch Opfer. Wie jeder Mörder Opfer seiner Mörderkunstmonstrigkeit ist – und jeder Nicht-Mörder auch. Ich nicht zuletzt. Das Unfreiwillige der Freiwilligen. Denke dabei auch an die Mörder, die uns, ja, auch mich (!), vom Faschismus befreiten, die entmördernden Mörder.

Alle die, fremd aller Heimat, auf verlierendem Posten.

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