Mi, 22.01.2020, 21:53

Nicht erst nach dem Tod der Mutter fühle ich mich im Elternhaus unwohl und immer etwas angespannt. Es scheint mir voller Gestalt gewordener Ermahnungen und enorm ordentlich. Alles ist an seinem jahre- oder sogar jahrzehntealten Platz – und nicht verstaubt, sondern quasi wie neu. Jegliche Patina fehlt. In Erzählungen des Vaters wird auch deutlich, woher das kommt. Es ist eine Anti-Flucht-Reaktion. Nach der Fluchterfahrung des Vaters, dann Wohnen in sehr beengten Verhältnissen, letzteres ebenso bei der Mutter, war ein großzügiges und wohlgeordnetes Heim Traum, Ziel und schließlich Notwendigkeit. Mir fällt der Begriff „sich niederlassen“ ein. Ja, die Eltern haben sich nach langem Hin-und-her und Hie-und-da hier niedergelassen. Dagegen meine Unfähigkeit, „es mir schön zu machen“, mein Hang zu räumlichen (und auch sonst) Provisorien, die dann zur Dauer werden – unabgestaubt. Als würde ich das Flucht-Trauma des Vaters nochmal nachstellen, indem ich mir Camping-Umgebungen schaffe und mich flüchte in Süchte, indem ich die alte Sehnsucht zum Prinzip mache, stets bereit, auf irgendwen oder irgendwas projiziert zu werden.

Ehemaliges Jugendzimmer (mit Cembalo)

Biwak im Elternhaus während der Trauertage

>> 22.01.2010
>> 22.01.2000
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1 Antwort zu Mi, 22.01.2020, 21:53

  1. Almut Behl sagt:

    Sehr schöne und wichtige und schmerzhafte Erkenntnisse. Schmerzvoll. Voll mit Schmerz.
    Die Behausung, der Körper, der darin wohnt und in sich wohnt und in sich ruhen sollte und permanent rebelliert, rumpelt und schweinehundelt.
    Interessante Gedanken, die viel mit Festhalten und Frieden wollen und gleichzeitig mit gar nicht erst anfangen und resignieren zu tun haben könnten. Das vielzitierte Loslassen dürfte jetzt eine große Übung werden. Für unsere Generation. Wir nicht Erwachsenen, die wir jetzt die Alten werden und erwachen sollten. Wir Messies und Minimalisten, wir Verharrer und im Kopf Lebenden. Leben Verdränger, Aufschieber und nicht Ausmister. Ob wir Flüchtlingskinderkinder das freie Flottieren lernen werden? Das Zwanghafte lassen, das Tanzen, Schweben und LEBEN lernen? Noch ist Zeit. Das Sterben der Eltern ist eine wichtige Mahnung. Vielleicht die letzte und auch beste, die sie uns geben können, die sie uns soviel anderes nicht geben konnten. Auch wenn sie es sicher wollten. Auch ihnen wurde vieles nicht gegeben. Oh, man wird schnell biblisch hier.

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