Fr, 12.11.10 (So, 14.11.10, 23:18): Fenster fremd

Neue Expedition ins Fremde. Fenster nebenan, „void“.

Drei Nettostunden Neue Musik. Hinterher gerä(n)dert wie geläutert.

— snip! —

Freiheitsgrade im Fremden

Jubiläumskonzert der Reihe Neue Musik Eckernförde

Eckernförde. Gleich mehrere Jubiläen gilt es beim fünften und letzten Konzert der diesjährigen Reihe Neue Musik Eckernförde vorzufeiern: Den 50. Geburtstag des Eckernförder Komponisten Gerald Eckert Ende Dezember und das zehnjährige Bestehen des ensemble reflexion K, das es 2011 begeht. In großer, orchestraler Besetzung tritt es in der Eckernförder St. Nicolai Kirche zusammen mit dem Freiburger Schlagzeugduo „eardrum“ an, in fast vier Konzertstunden ein Kalleidoskop der Klangfarben Neuer Musik zu entwerfen.

Und damit auch der „Freiheitsgrade“ der Bewegungen in erweiterten Räumen, die von immer weiter hinaus geschobenen „Weltenden“ begrenzt werden. „fin des terres?“ ist das Konzert daher auch überschrieben – mit einem Fragezeichen. Denn die Grenzen und Enden sind sozusagen die, die erst die Weitung ermöglichen, wie Gerald Eckert in seinen „Bruchstücken … erstarrtes Lot“ zeigt. Als eine von vier seiner Kompositionen im Jubiläumskonzert ist sie ihm wichtig, weil sie seine kompositorische Arbeitsweise demonstriere: „Erst die Erstarrung des Lots, der Achsen macht sie beweglich“, erläutert Eckert seine Klangverortungen „in der Unverortbarkeit“. Oder umgekehrt könnte man über das Titel gebende Stück „offen – fin des terres“ sagen: Da wo die Grenzen Löcher zeigen, wo Leerstellen sind, werden sie erfahr- und damit erweiterbar. Ein Kompositionsprinzip, das Eckert auch in „void“ für Schlagzeugduo anwendet. Angeregt wurde es von „leeren Ecken“ im Jüdischen Museum in Berlin, die schlicht mit „void“, „Leerstelle“ benannt sind. Eben in die setzt Eckert seine Klangfarben, die für das umfangreiche Perkussionsinstrumentarium ganz untypisch sind. Die Gongs werden nicht geschlagen, sondern gestrichen, Wirbel auf hölzernen Klangstäben wirken wie Rauschen, und manches Quietschen und Schaben scheint wie elektronisch erzeugt. Klänge, die ihr „Drinnen“ in einem jeweils „Draußen“ suchen, in einem außer sich Sein, das gerade ins Zentrum führt.

So auch in Eckerts „Studie über Nelly Sachs“, wo er die poetischen Niemandsländer der jüdischen Dichterin klanglich auslotet und zeigt, wie ähnlich auch Sprache das Unverortbare kalleidoskopiert. Stefano Gervasoni unternimmt in seinen „Due poesi francesi“ ein ähnliches Experiment. Mit Versen von Beckett, Ungaretti und Rilke, Dichter die in der Fremdsprache Französisch schrieben, komponiert er wie diese eine Fremdsprache, die ihre Freiheitsgrade in der Fremdheit erst richtig entfalten kann.

Das Fremdartige im (vermeintlich) Vertrauten als Impulsgeber untersucht auch Nicolaus A. Huber in seinem „Fingercapriccio“. Die Membranen der Bongos, die er dem Duo „eardrum“ neben wenigen Metallofonen vorgibt, werden zum Medium für buchstäbliche Handarbeit. Wenn hier ein Drumstick zum Einsatz kommt, dann „in Verlängerung eines Fingers“, denn allein die klöppeln, klavieren, schaben, streicheln und kratzen gleichsam direkt am Trommelfell. Den Klang mal wieder an seine Grenzen geführt und darin über sie hinaus – an ein „fin des terres“, das nicht das Ende ist, sondern das Tor zu einer neuen Welt der Musik aufstößt.

Dieser Beitrag wurde unter d.day - keine nacht für niemand veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.