Sa, 24.4.10 (Mo, 25.4.10, 3:40): Archäologie des Textens

Das Versprechen von gestern, dem d.gi.arium mehr vorne stehende Priorität einzuräumen, erwartungsgemäß nicht eingelöst. Das liegt aber auch daran, dass mir zwischen all der Prosa der Arbeit zu seiner Poesie wenig einfällt und der Mut fehlt.

Dass ich wiederum spät erst aus den Federn an die Feder kam, ist allenfalls noch als solches Bonmot eine Erwähnung wert. Und dazu setze ich mal flink den Augenzwinker-Smilie 😉

Lebensart-Layout war zu durchwursten (der Job ohne Geld, also ungeliebte allmonatliche Ausübung des Hobbys). Dabei diese irre gute türkische Knoblauchwurst verzehrt, die es seit einigen Tagen im SKY-Markt gibt (sonst nur beim Döner-Mann, der sie jedoch irgendwie unwillig verkauft).

Nachts dann an die Texte für KN. Ad 1 über Cinarchea (Teil 2, Preisverleihung). In der Kunsthalle tauche ich struppig auf, schüttele Hände derer, die trotz meiner etwas landstreichenden Erscheinung wissen, dass ich ihnen gewiefte Texte schreibe – der Herr aus dem Ministerium, die Dame von Filmwelt, der infomedia-hurtige Kollege und der sympathisch wirre Festivalleiter. Bin fasziniert von dem akademischen Zusammenhang, von den Archivaren, die Textarchäologie betreiben, namentlich der Fex von der Berliner Firma media-science.de, die “Metropolis” restaurierte (mit dem neu gefundenen Material aus dem Filmmuseum Buenos Aires). Was mich daran fasziniert: die Akribie, das sich Versenken der Archivare in den alten (Film-) Text, dieses unbedingte aufbewahren und wieder hervorrufen Wollen, diese Wiederauferstehungshebammenkunst. Solche brauchen Autoren, die ihre Archive so unpfleglich behandeln wie ich mich selbst.

😉

Danach weiter im Text für Dota & Die Stadtpiraten. Nachts um weit nach 5 will ich eigentlich einfach nur noch einen alten Text über dieselben recyclen, sprich “anhübschen”, gerate dann aber dabei ins Fabulieren, total angefixt vom neuen Album “Bis auf den Grund”.

— snip! —

Den Liedern auf den Grund gegangen

Dota & Die Stadtpiraten präsentierten in der Pumpe ihr neues Album.

Kiel – “Die Erde ist eine Scheibe und bis zum Rand erschlossenes Land”, ein Vers, den man sacken lassen muss. Wenn man denn Gelegenheit dazu hätte, denn solche aphoristischen Wendungen und Hakenschläge folgen in Dota Kehrs Liedern so schnell aufeinander, dass kaum Zeit bleibt, den Mund staunend offen stehen zu lassen.

So auch nach etwas mehr nach einem Jahr wieder in der Pumpe, die Dota und ihre stilistisch versierten Stadtpiraten mit ihrem neuen Album “Bis auf den Grund” kapern. Das Lied vom allzu erschlossenen Land wie auch das aufsässig-sehnsüchtige “Kein Morgen” (vom Vorgängeralbum) skandieren Dotas Fans mit. Aber auch die neuen Songs bergen Hitpotenzial für Hirne und Herzen, die sich von Dotas Texten dorthin entführen lassen, wo die Poesie den Realien des Lebens, Liebens, Leidens und nicht zuletzt des Liedermachens selbst auf den Grund geht.

Wir leben “zu nah am Boden”, weiß Dota im gleichnamigen Song und plädiert dennoch nicht fürs Abheben in betäubende Ekstase. Für den Titel- und Schlüsselsong “Bis auf den Grund” steht die “Kleingeldprinzessin”, wie sie sich wegen ihrer straßenmusikalischen Herkunft einst nannte, ganz allein mit Klampfe auf der Bühne und “auf einer Sandbank im Ozean”, von der aus man den Grund sehen kann. Nicht sie ist dabei das zarte Geschöpf, das sie augenscheinlich ist, sondern ihre Poesie, die sich waghalsig in die Zwischenräume, die Fugen und Widersprüche stürzt. Was könnte man Einsichten wie “die Liebe ist ein Schiff aus Papier mit einem Mann über Bord” noch hinzufügen, als sie einfach so auf dem Grund stehen zu lassen, ihnen mit geradezu in den Boden gebohrter Andacht zu lauschen?

Doch Dota ist eben nicht nur Poetin, die den Geist der Hamburger Schule aus den 90er Jahren, von Bands wie Blumfeld oder Tocotronic, fortsetzt in eine “Berliner Schule” des neuen Jahrzehnts. Sie ist wie diese – womöglich unfreiwilligen – Vorbilder zusammen mit ihren Stadtpiraten auch eine Musikerin, die mittels Ska, Reggae und mancher Jazzplauderei aus den metaphysischen Versen einen Tanz zaubert, der die beklagten und bedichteten Verhältnisse ebenso wie das Publikum zum Tanzen bringt. Vielleicht ist das, mehr noch als diese wahnwitzig tollen Texte, ihre Meisterschaft.

So wird “die schnaubende Wut”, mit der sie “Im Glashaus” lauert, nicht nur textlich erfahrbar. Es ist auch eine Nummer, die revoluzzendes Tempo macht. Ein ebenso frischer Wind weht im nächsten Song, fürs nächste Album – Nomen est Omen: “Wir warten auf Wind”. Der bläst schon im Untergrund und haucht am Ende offen aus. Wie ein Fragezeichen statt eines Rufzeichens sind die Schlüsse in vielen Songs der Kleingeldprinzessin, die die ganz großen Münzen rocken, rollen und reggaen lässt. Was sie sich ausdenkt, muss sie nicht zu Ende denken, das überlässt sie ganz bewusst dem Publikum. Das verliert in Dotas Liedern den Boden unter den mittanzenden und mitdichtenden Füßen. Denn so soll es sein, wenn man den Dingen auf den Grund geht.

— snap! —

Lilly hat zwei Toystory-Figuren erworben. Eine, sagt sie, ist für mich: Das kleine Kunstmonster mit den beweglichen Armen und Beinen und drei Augen im Grinsekopf.

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