Times New Roman

1: Con te partirò

[Andrea Bocelli & Sarah Brightman: „Time To Say Goodbye“]

Links die Kuh, die aus Hannover/Bargfeld, die Anna Muhmuh. Rechterhand Dublin, Strand, Stephen Daedalus, wie er Buck Mulligans Türmen flieht. Und in den fehlenden Mitten kann man mich mal gernhaben, gerner als ich mich. Obwohl man ja – nicht nur hier im Text, meinem Hirten – noch gar nichts von mir weiß, auch nichts wissen wird, es sei denn ich erzählte es, also mir. Wozu ich wissen müsste, wer ich bin. Was natürlich die ebenso große wie überfließende Frage ist. „Philosophisch geradezu“, wie wir, die Anna-Muhmuh-Crew, zu sagen pflegten, wenn wir – geradezu im „Shellsea“ lungernd und Latte Mac latinisierend – einen Punkt setzen wollten, der dann doch nur wieder Komma war, Wortgedankenstricheln, Hoppelpunkten, bestenfalls das Wispern der Fritz-Semikola.

Wir, das sind Herr K. und ich, treffen uns nach Mitten täglich im „Shellsea“ zur Before-Work-Party, obwohl wir einsten wohnen nur eine Straße weiter, waisenhöflich. Herr K. raucht, ich rauche auch. Unsere Köpfe nicht, es schwiege denn das aufdringlichternd’ Sprichwort. Wir geben uns gegenseitig Feuerblutstürze und sehen aus, wie Dichter gerne aussähen: Brille beide, einer dick, ich, einer dürr, Herr K., Dick & Schlau, Aurel & Hardcore-Kleopatra, Cäsar & wer beider Caligula?, Wald & Hinsterbwiesen, Heideggerns Tisch & Gina Wildes Bett, Lady Sunshine & Mister Maroon, Schüler & Carotis, Andrea Bocelli & Sarah Brightman, blinde Sänger neben brünettverrot beherzten Frauen, auch und gerade die ansingend, Engelchen & Teufelchen also, Spion & Spion, Shellsea-Locke und blau erkaltete Hörnholde, Größe & Schillern, Con te & partirò, Time & Weh Goodbyebyepass.

Eben die wunderschöne Schnulze wehte aus dezenten Leisesprechern im Rauchersalon des „Shellsea“. Und Herr K., auch wenn alles andere als ein Box-Champion, es sei denn in Worthandschuhen, fragte mich, ob ich noch ein „&“ hätte, „et“, nicht „at“. Ob mir noch ein weit’res einfiele, hatte schon den Stift gepunktet auf seine Kärtchen, wo er beständig notierte. Und sah mich blitzblindschleichschielend an aus seinen Konkaven, während mein Konvexes zernebelte vom gerade ins Augenglas des dampfenden Latte Geschauten. Ich dachte an Triest und Joyce & die Strohhalmhüte, die wir nicht aufsetzten, obwohl es ein italienischer Sommer war in diesem Jahr in dieser Stadt, über die Herr K. gerade gedichtet hatte: „Meine Stadt schmeckt salzig.“ Warum konnten die Blinden besser singen als die Sehenden, fragte ich mich – „philosophisch geradezu“. Und warum strafte Herrn K.’s schielender Augenblick, abwartend jetzt auf mir, auf meine Antwort noch eines „&“-Paars, eben diese Vorabvermutung so sehr Lügen, wie er sich auf solche verstand?

Und warum lief genau jetzt dieser Song im Shellsea.fm, jetzt, wo Herr K. sich das Tramadol in enormer Dosis in den Latte tropfte? Warum dieses Goodbye? Warum wäre schon jetzt Zeit dazu, während wir noch Worte fanden? Worte & Fassadenweißen, die doch das „&“ in der Fuge hatten. Und warum liefen mir jetzt und gerade hier darob Tränen in meinen Latte, um den Nebel hinter meinen Gläsern nur noch zu verdichten?

„Pat & paradoxes Chronikechen?“, fragte Herr K. Runzelte dabei aber die Stirn in dem Moment, wo er es wieder durchstrich. Auf seinem Kärtchen, das noch zu viele weiße Flecken des Textens zeigte. Jetzt noch einen geschwärzten Fleck & Text. „Zu blöde Idee“, sagte Herr K. „Schach patt & Poetikon“, fiel ich ein. Nee! Wir tranken beide und stießen Rauch gemeinsam aus. Er flog & sirrte. Tod & das Mädchen. Goethe & Eckermann. Gegen & Satz.

2: Dichter-WeGe

[Red Hot Chilli Peppers: „Snow“]

Er stand vor der Tür, bepackt. Es war tiefe Nacht, ich wie gewöhnlich noch wach. Auf das zumindest konnte er errechnen. Er sagte: „Ich hab’ Krebs, ich brauch’ Exil!“ Er nahm die lehnende Matratze, legte sie ins Nichtwohnzimmer und sich darauf. Er war der müde Dichter, alles ausgeschrieben und nun Verschriebener dem Tod. Er war mein Freund. Er durfte mich bewohnen.

Er stand auf am Morgen, kochte Kaffee, brachte mir die Tasse, der ich wie gewöhnlich auch „um Eilf a.m.“ noch schlafanzüglich war. Er baute sich auf und ein in nun uns’rer Wohnung. Am nächsten Tag kam der Computer, die Schreibmaschine, die im Nichtwohnzimmer aufgebaut wurde. Dazwischen die Wege, auf denen wir uns trafen, zum Klo, in Küche. Kaffee kochten, tranken in Mengen und wieder rausließen. Er wolle mal duschen. Der Dampf später davon im Flur, wo Terracotta klassisch war uns’ren nackten Füßen, auf denen wir die ganzen Tage schritten durch die Dichter-WeGe. Dichtende, Undichte. Er weinte Tränen, heimlich, ich hört’ die Tropfen auf den Terracotta sinken.

Er ging spät schlafen wie auch ich. Er hörte mich klappern auf der Tastatur, ich ihn. Wir schrieben miteinander aneinander vor, jeweils „zu gehen ins eigene Wort“, wie er es nannte, mir am Nachmittag danach vorlas. Und ich war noch berückter davon als von meinen eig’nen Worten. Ich dichtete um seine dies herum. Und doch mitten hinein wie er in meine. Wir verstanden uns wie Blinde, also durch Laute. Und sahen uns doch an in unserer Verhehrung. In Paris im 19. oder frühen 20. Jahrhundert hätte man es nicht besser treffen können als in diesem frühen 21., wo wir die Waisen eines Wortes waren im Hof. Wo die Mädchen sich sonnten in dem Frühling, der jetzt wurde. Herr K. war im Februar gekommen, es wurde März, April und dann ein Mai.

Der war ungewöhnlich heiß, schwül auch, wir hieben bei offenen Fenstern auf unsere Tasten ein. Nachts löste Stärkeres den Kaffee ab. Wir rauschten. Wir torkelten uns unsere Texte, per Mail von einem ins andere Zimmer, einmaler um die Welt. Wir waren Rote Zelle, schwarzes Grab, grüne Aue, blauer Kelch, Goldgebrandete einander versilbernd und in den Worten für ein paar Silbenlinge verratend. Wir stritten und wir liebten uns. Wir entfernten und wir nährten uns von Nähe. Wir stiegen auf denselben Deckel im Klo – um die kaputte Lampe zu reparieren. Wir stürzten ab und lachten uns zu Tode ob des zerbrechlichen Todes der Glühdirnen. Dann ging es ihm schlechter, er hustete, er ängstigte sich. Er schrieb weiter. Wir schrieben die Angst auf gegen die Angst. Wir waren die alten blinden Ritter, in lächerlichen Rüstungen, kein Feind in Sicht – außer das Leben.

(Sommer 2008 vor dem „Weltruf“. Foto: Kathrin Wortmann)

Er reiste ab in Klinik, im März. Er wurde operiert, halbe Lunge weg und auch die Stimme. Er kam heim und krächzkicherte darüber, wie er noch am Leben war. Er nahm den Platz wieder ein, der ihm war, tippte weiter durch die waisenhöfeliche Nacht. Wie ich, der ich litt. Er noch mehr. Wir schrieben wie eh das Leiden auf und dagegen an. Wir kochten Kaffee, kauften ein, gingen aufs Klo, die Tür stand offen, duschten, luden Freundinnen ein, die uns fickten, wir schwiegen und redeten in Schwällen. Wir waren aus nichts. Und wir dichteten. Und also waren wir, sind wir noch, die Salzigen aus unserer Stadt.

3: bilderblind – oder: Die Frage nach der richtigen Schrift

[Wise Guys: „Mad World“]

„Arial to say Goodbye, wie klingt denn das?“, fragt’ Herr K. und folgte der Empfehlung für die Times New Roman als Typografie für seinen „Traumzeugen“. Jenem, „Keiner – Einer, Drei sind wir. Ein Ding. Ein Mensch. Ein Traum“, hatte er soeben „ewiges Gedicht“ vorangesetzt, das auf den Zetteln im Zimmer täglichnächtlich wucherte. Und schrieb in der Times, der alten Schrift, voran. Welche Schrift bildet das korrekt ab, fragten wir uns in der Verwirrungsaufklärung eben dieses zu groß angelegten Textes, dem hernach das Sprechen mehr als das Geschriebene die Worte diktierte. Als wär’ die Sprache nie, wenn sie nicht nur gesprochen, nur geschrieben würde. Die These macht’ uns bilderblind in diesen letzten Tagen. Er zog dann ins Hotel, weiten Blickes über die verfördeten Wasser, schrieb weiter an die steile Küste ran. Ich besuchte ihn und schrieb ihm nach, immer nacheilend, rasender Reporter. Und sah Mr. Times New Roaming und „arial“ sitzend in dem Strandkorb am Kai, wo die Lattes automatisch serviert wurden, zu, wie er ro-notierte. Immer noch die Kärtchen, die in seiner Baggy-Hosen-Tasche platzten. Sah ihn an, den Verschwindenden. Und wusste, wo ich war, an der vertrauten Seite des Verschwindens. Und so verschwand, was ich nie schrieb, in Times aus schreibmaschinenähnlicher Courier, verflüchtigte, wo ich seiner Flucht in Text, dem Unbedingten, zusah.

Ich sah ihn schwinden vor meinem Angesicht, wie damals mich auf die Frage des weiteren „&“’s mich der Latte in Wasserdampfnebeln versickerte. Ich war bilderblind. Ich sah hinaus aus dem Sitz an Herrn K.’s Strandrollstuhl auf die Wasser, die salzig waren wie wir und die er erzählte, aufzählte, sah den Delfinen nach, die in Ostsee nicht vorkommen und nicht schwimmen, nur manchmal verirrte Wale an hiesigem Gestade gestrandet. Ich trank aus, dritter der gehaltvoll’ Drinks, die …

4: Herr K. bestellt

[Madonna: „Sorry“]

Anruf nachts im Mai ein Jahr später, Befehl: „Komm her!“. Ich eile, Herr K. hat schon bergstraßenverkeiltkellernd bestellt. Für jeden sechs Wodka-Lemmon serviert ein Mädchen, Studentin, das er so verlieblebt anschaut wie ich. Eine Schöne, die den Rausch liefert. Es ist schon Zwei, wir trinken um die Wette. Er schafft sechs, ich vier, nachzubestellen. Wir tanzen mit den Verbliebenen um eine Wette, die niemand gewettet hat. Wir tanzen um das Leben. Wir rocken das Wort. Sind dichte Dichter. Wir schlingern. Herr K. bestellt sich Taxi. Wohin? Ich wanke an ihm heim. Wo er nicht mehr ist. Ich schreibe, Sündig-Sündhaftes, an dem wir waren, riechend die Mädchen schon, die doch so fern. Wissend die Mission, den terroristischen Text.

„Käffchen?!“, befiehlt er am nächsten, noch nicht nüchterneren Nachmittag. Im „Shellsea“, wo die Muscheln sich in die See ophelien und wir Hamkotlette sind nach dieses Fleisches Nacht. Herr K. ist still, notiert. Wir süffeln am MacLatte. Wir Gestillte, doch nicht am Wort. Denn Herr K. sagt: „Ich werde bald sterben, ich fühle es.“

5: Dein Grab ist kein solches, doch mein Hirte

[Gabriel Fauré: „Requiem – Pie Jesu“]

Und wie, die ihr mich nun kennt in ihm, ich stand an seinem Grab, dem Ort, wo seine Asche von Händen gestreut wurde in das Meer uns’rer Stadt, die salzig schmeckt. Ich stand fester noch auf seinem Hügel, ich wankte nicht. Denn ich schrieb weiter. Ich schrieb, wo seine Tasten tasteten ins Nichtbewohnbarnachtbarzimmernichts, ich duschte nun allein, dampfend in den Terracottaflor, ich kackt’ allein bei off’ner Tür in jene Schüssel damals. Nachdem ich uns allein Kaffee gekocht. Noch Wochen nahm ich zweier Tassen aus dem einverschränkten Grab. Ich blieb, wo ich nicht wollte, er aber, K., schon war. Und ich schreib’ und schreib’ und schreib’, wie er mir’s hat geheißen: „Und ich schrie, und schrie, und schrie!“

Und ich sehne, träne und ich trau’re – und lache über K. Manchmales noch, wenn ich an ihn denke, er mich ereilt und macht mir Times-New-Roman-Träumen. Wie er schielte und scheiterte und starb und sagte und sprach das Wort, das hieß „Nee, wir!“. Wie wir waren und drei und zwei und einer „con te partirò“. Links die Muhmuh-Kuh, ich mittendrin und rechterhand die zuhand’ne Frage nach dem Uns und Du.

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