Mo, 25.1.10 (Di, 26.1.10, 9:27): Psychodynamix

Lilly vor dem Spiegel: Lollipoppisch, girliehaft und doch Antigone, Medea, Tragödin. Ihr Hüpfen, Übersprungshandlung oder genuine Lebensfreude, jedenfalls mich herzhüpfend machend. In der Dusche bei Kerzenlicht (funzliges Ikea-Light): die goldenen Spiegelungen des fahlen Lichts auf ihrer nackten Haut und dem Wasser daran. Danach Gespräche, sie nackt, ich kaue(r)nd bekleidet, auf dem Bett. Kleines Kolleg über Philodelics.

Nachhalle von gestern – oder war das schon vorgestern?

Im Prinz Willy am “Moloko Velocet”, der eine jeweils Fritz-Cola war, und wie folgt die Nachtaktiva genipp(el)t:

— snip! —

Schaukeln im Klangmeer

Im Prinz Willy nippte man am psychedelischen “Moloko Velocet”.

“Um die Hölle auszuloten oder engelsgleich aufzusteigen, nimm nur eine Prise ‘Psychodelic'”, beschrieb Humphry Osmond einst die Wirkung halluzinogener Drogen wie “Moloko Velocet”, jenen amphetaminisierten Milch-Shake, mit dem sich die Kumpels in Anthony Burgess’ Roman “A Clockwork Orange” in Stimmung bringen und nach dem sich die Band aus dem französischen Roubaix benannt hat, die im Prinz Willy solchen Bewusstseinszuständen musikalisch huldigte.

Adrien Dreiman (Gitarre, Vocals), Maria Mackenzy (Vocals, Percussion), Arturo Bandini und Piotr Stepanovitch (Gitarren) sowie Aureliano Dimitriov an den eher schüchtern eingesetzten Drums und Raphäel Sollima auf dem Moog-Synthesizer, der als sphärisch waberndes Bassfundament dient, beziehen sich dabei aber weniger auf den psychedelischen Rock der 60er, The Jesus and Mary Chains “Psychocandy” oder seine Triphop-Nachfahren aus den 90er Jahren, sondern auf deren Lebens- und Klanggefühl. So liegt über allem ein Schleier von Hall, der die Silben der englischen Lyrics rund um romantisch milde (“Red Sun”) bis beängstigend entweltlichte (“Empty Streets Of L.A.”) Entgrenzungserfahrungen zu einem träumerischen Säuseln verschmilzt. Auch die drei Gitarren knüpfen die Enden der Töne zu einer Klangperlschnur zusammen, klingen zuweilen fast unisono, so eng verzahnt sind ihre Riffs.

Die Wirkung solcher Musik gleicht in der Tat einer milden Droge, hüllt den Zuhörer ein, macht ihn weltblind, lässt ihn traumwandlerisch taumeln, wobei letztere Bewegungsanmutung durchaus etwas Tänzerisches hat, dem man in den tiefen Couchen des Prinz Willy jedoch nicht nachkommen kann. So tanzt man mit den Seelensprüngen der Töne, schaukelt sanft im Klangmeer ohne Ufer, wendet sich ab vom schweigenden Festland, das Welt hieß. Oder schaut Sängerin Maria Mackenzy zu, wie sich ihre rotbraunen Strähnen auf der Stirn im sinnlichen Takt wiegen, den sie sich mit dem Tambourin selbst gibt. Ein Blumenkind aus fernen und doch so zeitlos nahen Zeiten.

Bevor man dabei lull und lall wird, lassen Moloko Velocet hinter solchen Milchglasscheiben allerdings auch kleine rockige Fünkchen aufblitzen. Gerade in den improvisierten Stücken, Vorstudien zu Songs, die noch im Kokon zucken, beschleunigen sie den einheitlichen Herzschlag-Trott des “Like A Massive Monotone”, ziehen die rhythmischen Zügel an. Ein Blick über den Tellerrand des selbstgewählten Rauscherlebnisses. Man weiß nur noch nicht wohin, wenn der Horizont bis über ihn hinaus gedehnt ist. Folgt nach dem Nirvana vielleicht doch mehr als das wohlig schaukelnde Nichts?

— snap! —

Und heute, nachmittags, also frühstmorgens, einsam durch den Kurzstreckenschnee zum KN-Date im Opernhaus:

— snip! —

Das Büro als Bühne innerer Welten

Franz Wittenbrinks Liederabend “Sekretärinnen” tippt im Opernhaus die Durchschläge des Persönlichen.

Wenn Sekretärinnen nicht tippen, dann träumen sie – von einer Bühne außerhalb des Büros, manchmal aber auch vom Büro als Bühne. Franz Wittenbrink hat 1995 in seinem Liederabend “Sekretärinnen” solchen Träumen zwischen Farbband und Fernweh gelauscht, was sich in Hamburg als Riesenerfolg mit mancher Überstunde erwies. Nun, “nachdem der Hamburger Ruhm etwas verhallt ist”, so Regisseur Jörg Diekneite (in Zusammenarbeit mit Daniel Karasek), singen und sehnen die “Tippsen” im Kieler Opernhaus.

Als einen “Ausnahmezustand am Opernhaus” empfand der musikalische Leiter und Klavierbegleiter der neun singenden Sekretärinnen Michael Nündel die Probenarbeit. “Wir durften etwas wagen, was man in der Oper sonst nie darf: die Musik den Figuren anpassen und umgekehrt, zum Beispiel aus einer rauchig-bluesigen Jazz-Ballade einen aggressiven Pop-Song machen. Wir haben lang gewürfelt, welches Lied wie auf welche Figur passt.” Zwar seien Sekretärinnen schon ein Stereotyp, aber ein sehr wandelbarer. “Von der züchtig strengen Königin des Büros bis zur Schlampe, die sich nach durchzechter Nacht lieber die Nägel lackiert als sie auf die Tasten zu setzen, war alles möglich”, freut sich Jörg Diekneite über seine Regiearbeit, die “keine festen Vorgaben hatte, sondern im Team erarbeitet wurde”.

Gerade auch mit dem Ensemble, in dem sowohl singende Schauspielerinnen wie schauspielernde Opernsängerinnen vertreten sind, die den Parforceritt durch die Genres vom ironisierten Pathos der Arie bis zum mit bewusst kitschigem Sehnsuchtsschmelz lippenbestifteten Rock-Song als “absolut willkommene Abwechslung vom normalen Theaterbetrieb” empfanden. In jeder Operndiva steckt auch ein Pop-Luder, in jeder lasziven Jazz-Lady die ernste Tragödin, so hätten sich “witzige Querbezüge zwischen den Rollen und ihren Darstellerinnen” ergeben. “Dass unsere gebürtige Griechin (Marina Fideli) vom ‘Mädchen aus Piräus’ singt, lag da nicht nur einfach nahe”, weiß Nündel, der in den “Stilen, die krasser nicht wechseln könnten”, “tief gefühlte Momente jenseits eines Schenkelklopferabends” entdeckte. “Das ist kein Crossover, uns interessieren die Brüche – in der Musik wie in den Personen.”

Wittenbrinks Entwurf ist ohnehin keine bloße Nummernrevue en bureau und mit “Liederabend” sowohl treffend wie den Modus ironisierend beschrieben. Vielmehr ein theatralischer Freiraum, den die Bühnenbildner Elisabeth Richter und Norbert Ziermann und Kostümbildnerin Sabine Keil als “Unterstützung der Rollen” gestalteten. “Jeder Schreibtisch ist eine eigene Lebensbühne”, beschreibt Richter ihr Konzept, bei dem die Darstellerinnen auch etwas von sich preisgeben. Und natürlich die Schreibmaschinen: Zwar tippt heutzutage jede Sekretärin am PC, aber die altertümlichen Schreibgeräte waren für Michael Nündel willkommenes Instrument der Perkussion. So rappen die “Tippsen” darauf ihren je eigenen Groove, und das Büro wird zur Weltbühne.

— snap! —

Viel Text also, der die Äther und Rät/t/s/le/i/n näh(e)rt.

Tränen derweil, romantische nicht nur, elegische, bei der “Unerträglichen Leichtigkeit des Seins”. 27 Minuten vor Schluss schwimmen die Schwäne, lohengrient uns das Schicksal der Fremde nah, näher, nächstens. Nächtens.

Video-Sequenz:

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