Wo man singt, da lass dich unruhig nieder – oder: Gutmenschen haben manche herrlich böse Lieder

Zu Mozarts „Zauberflöte“ und Kenneth Branagh’s solcher Verfilmung „The Magic Flute“

„Im Westen nichts Neues“, außer dass in Kenneth Branagh’s Verfilmung der Mozart/Schikanederschen „Zauberflöte“ Prinz Tamino anfangs ein blaues Blümchen pflückt vom Grabengrabesrand. Bei Erich Maria Remarque (obwohl das Blümchen dort ein Schmetterling war), auch in Kubricks „Paths of Glory“, ereilte solche Romantiker noch sogleich der finale Rettungskopfschuss. Allein, wo das westliche Abendland inzwischen seit gut einem Jahrzehnt gegen das muslimische Morgenland wieder mal zu Kreuze zieht, bleibt doch die Botschaft, dass der Krieg der Liebe und des Glaubens der Vater und die Mutter aller Frieden sein könnte.

1790, Wien. Emanuel Schikaneder braucht ein neues, möglichst volkstümliches Singspiel für sein etwas kümmerndes Theater an der Wien. Er schreibt das märchenhafte Libretto und beauftragt seinen Freimaurer-Bruder Wolfgang Amadeus Mozart mit seiner Vertonung. Der hat drei Jahre zuvor in Prag seinen und Da Pontes „Don Giovanni“ uraufgeführt. Ein Höhepunkt seines Opernschaffens – allerdings auch schon mit der seltsamen Verknüpfung von Liebe und Tod befasst. Jetzt, wo Schikaneder ihn fragt, hat ihm – so die Legende – ein sensemannender Bote ein „Requiem“ in Auftrag gegeben. Doch wo dort der Tod auf Mozarts Noten zur Verwertung lauert, die der heutigen von Musik in nichts nachsteht, hat Mozart hier die Menschenliebe als Zuflucht vor ihm und dem steinernen Gast, der schon Giovanni richtete, in der Feder.

Und Papageno, diese fröhlich-traurige Figur aus der alten commedia dell’arte, den man in der „Zauberflöte“ als eines der alter egos des passionierten (wenn nicht spielsüchtigen) Spielkinds Mozart begreifen darf. Dennoch, die späten Sinfonien (g-moll, Nr. 40, KV 550, 1788) und schon die geheimnisvolle Fantasie in der Todestonart d-moll (KV 397, 1782) haben ihre Spuren längst hinterlassen. Mozart beschäftigt sich mit dem Tod – und allem, was da gegenan stinkt und singt. Er ahnt ihn im „Requiem“ wie der „Zauberflöte“. Zwei Werke, die in unmittelbarer Nachbarschaft entstehen. Und die gegenseitig gegen einander protestieren.

Wir schreiben nicht verspätetes 1914, doch das verfrühte Ende des 18. Jahrhunderts. Eine Zeitenwende, weil die so genannte Aufklärung gerade mal zehn Jahre vor Mozarts Tod ihren Lauf genommen hatte. Nordish by nature im von Wien fernen und gegenüber seinem altväterlich tausendjährigen Kaiserreich deutscher Nation und dessen Pomp and Circumstance provinziell anmutenden preußischen Königsberg: KANT! Mozart ahnt bereits die Dialektik der eben noch befreienden Aufklärung. Er komponiert sie in der „Zauberflöte“ – spätestens und damit höchst (post-) modern. Im „Figaro“ fröhlichtete sie noch bei der Vermessung des Hochzeitsbetts als die der vom Allzumenschlichen angeeigneten Welt. Im „Giovanni“ war sie schon dem Tode geweiht, der aus der Befreiung, also Entfesselung der Lüste folgt, um im freimaurerischen Programm der „Zauberflöte“ vorzeitig wiederaufzuerstehen – geheimbündlerisch messianisch vorerst.

In den materialschlachtenden Gräben des 1. Weltkriegs erklärt die Aufklärung ihren endgültigen Bankrott – es braucht dann noch 30 Jahre, bis der nach der Katastrophe des Holocausts von Horkheimer und Adorno minutiös diagnostiziert wird. Folgerichtig also, dass Kenneth Branagh seine „Magic Flute“ dort ansiedelt – im Scheitern einer Weltgeschichte, welche die „Zauberflöte“ noch hoffend – immer wieder Hoffnung machend vielleicht – formuliert. Den viel beschworenen „Bruch“ in der „Zauberflöte“ deutet er entsprechend um:

Der „Bruch“ versimpelt: Am Anfang ist die Königin (der Nacht) die Gute. Sarastro aber, böser Herrscher eines düstren Reichs, hat ihre jungfräuliche Tochter Pamina entführt, duldet ihre Vergewaltigung durch den „Mohren“ Monostatos. Doch dann wechselt Tamino, den die gute Königin aussendet, die Tochter und damit ihr Reich zu retten, die Fronten, wird von Sarastro zur Weisheit initiiert. Und die böse Schwiegermutter und ihre Kohorten erweisen ihr wahres Gesicht als Kreaturen der Nacht, der Verdunkelung, weil Romantik der Vernunft. Mitten zwischen solchen Stühlen: die drei Damen-Dämoninnen, die Tamino vor der Schlange des Paradieses erst retten, dann sich als Auftraggeberinnen für ein Himmelfahrtskommando erweisen. Und die ätherischen drei Knaben, die Boten ebenso himmlischer wie irdischer Pfade sind – Botschafter Sarastros wie der Königin. Viele Exegeten haben diesen unvereinbaren Bruch in der Geschichte bedauert und als dramaturgischen Kardinalfehler kritisiert. Ihre Vermutung: Schikaneder und Mozart schrieben das Märchen allzu hastig um, weil ein Konkurrenzprodukt ähnlichen Inhalts ihnen auf Wiener Unterhaltungsbühnen zuvor zu kommen drohte. Branagh hingegen, und so gelesen wohl auch schon Mozart, haben den „Bruch“ ganz bewusst angebracht.

Nämlich als Dialektik – obwohl die ein Dreivierteljahrhundert später erst Marx entwickelte, indem er die Hegelsche Nachfolgeorganisation der Aufklärung von deren idealistischem Kopf auf die materialistischen Füße stellte. Was aber, wenn das Gute so böse sein kann wie das Böse gut ist? Was, wenn die Gutmenschen böse Lieder singen wie die auf einem Tank herannahende Königin ihre Rachearie und der Hohepriester Sarastro Choräle anstimmt, als hätte sie der pietistische Gutmensch Bach in einem seiner garstigeren Momente und daher umso besser komponiert?

Mozart scheint genau an diesem „Bruch“ entlang geschrieben zu haben. Und Branagh filmt an eben solcher Grenz(be)ziehung. Hier gibt es weder Gut noch Böse, hier sind alle im produktiven Zweifel an der göttlichen, also ebenso gut wie bösen Welt(un)ordnung, zwischen denen allein wir dürren, verlorenen Menschen entscheiden. Das aber hatte der Gott uns zugesagt, als er uns aus dem Paradies vertrieb – und uns damit vor ihm rettete wie Sarastro und die Königin Tamino und Pamina, uns und sie vor jeweils ihnen.

Und wären nicht die scheiternden Narren in diesem Widerstreit die wahren Gewinner? Branagh findet genau dafür die naiven, märchenhaft realistischen Bilder, die wir zwischen Gut und Böse, also als bedingungslos Liebende träumen können – was uns zu Menschen macht. Überbreit errötende Lippen, die uns einst entließen und nun, erwachsen ins Gut wie Böse, wieder aufnehmen. Pa-pa-pa-pageno, Pa-pa-pa-pa-gena! Pa- Ta-mino! Stammelnd stotternde Vergeschwisterungen.

Im Dezember 1914, an den bereits versteinerten Fronten, reichten sich im „Weihnachtsfrieden“ die Verfeindeten über die Fronten die brüderliche Hand. Nur ein Augenblick, den Branagh zitiert. Und wer bringt die dialektischen Widersprüche der Verhältnisse da zum Tanzen? Es sind Zauberflöte und magisches Glockenspiel, es ist – das komponierte Mozart zwischen Tod und Leben – die Musik. Höret, singet und sehet genau sie!

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