„Provinzlärm 3“: Atmen zwischen Geist und Körper

Das Neue-Musik-Festival „Provinzlärm“ machte die Vergeistigung der Musik sinnlich erfahrbar

Von Jörg Meyer

Eckernförde. „Nach spätem Gewitter das atmende Klarsein“ fand Rilke in der 7. seiner „Duineser Elegien“, einen Atem, in dem sich Vergeistigung und Körperlichkeit in eins finden. Das könnte Motto sein für das 5. Neue-Musik-Festival „Provinzlärm“, bei dem am Wochenende in der Eckernförder St. Nicolai-Kirche das ensemble reflexion K und Auditivvokal Dresden in sechs Konzerten 17 Werke neuester und älterer Neuer Musik präsentierten, darunter drei Uraufführungen.

Rilkes Zitat machte Luigi Nono zum Titel seiner 1980 komponierten – man möchte sagen – „Atem-Sinfonie“ für kleinen Chor, Bassflöte und Live-Elektronik. Dieses umfangreiche Werk stand am Sonnabend im Zentrum des Festivals, formuliert es doch in seiner klanglichen Vergeistigung etwas unbedingt Sinnliches, gleichsam das Materielle allen musikalischen Geistes, das Ein- und Ausatmen. Oder auch das atemlos Werden wie Gerald Eckert in der Uraufführung seines „Sopra di noi … (niente)“, das den „Provinzlärm“ eröffnete. Bekannt eher für die Auslotung des Brüchigen wie in „Bruchstücke … erstarrtes Lot“, welches als schlüssige Klammer am Ende des Festivals stand, stellt Eckert dem Geisterhaften des Klangs brachiale Ausbrüche entgegen, die unmittelbar körperlich durch Mark und Bein gehen – musiziert vom auf 21 Spieler erweiterten ensemble reflexion K.

Wie Eckert hat auch Peter Gahn bei Nicolaus A. Huber studiert, der wiederum in „Ohne Hölderlin“ für Kontrabass und Klavier Nonos den Dichtern nachklingender Spur folgte. Uraufgeführt wurden am Sonntag Gahns „Diagonalen in kubischen Räumen I-III“, die den leisen „Atem des Klarseins“ ebenso aufnehmen wie das vorangehende Sound-Gewitter. Buchstäblich „schräg“ steht hier der Klang im Raum, durchkreuzt ihn in der diagonalen Dialektik von Körper und Geist.

Ebenfalls am Sonntag uraufgeführt: Roland Breitenfelds „Einblick II“ für Flöte, Cello und deren live-elektronisch transformierte Klänge. Melodiefragmente atmen darin als Hauch, was Musik war, bevor sie sich – notwendigerweise – in die Fremde begab: als Lied.

Ein solches nahm sich schon im 15. Jahrhundert Guillaume Dufay zum Vorbild für seine „Missa L’homme armé“, ahnend, dass ein weltliches Lied das Geistliche des Messetextes körperlich tanzbar erfahrbar macht. Wie die Neue Musik an jene frühen Klangerforschungen „andockt“, konnte man in der Interpretation von Auditivvokal Dresden ohrengreiflich erfahren.

Auch in den kleineren Werken wurde solches Atemholen des Geistes in seinem körperlichen Ursprung deutlich: Etwa in Steffen Schleiermachers „Atem Los“. Akkordeon und Posaune röcheln und schreien dort, exaltieren und reduzieren sich. Da erinnert man sich an Hölderlin ebenso wie an Rilke, der fragte: „Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen?“ – Wir, die vergeistigte Klänge im Mitatmen ganz körpernah erleben.

„Provinzlärm 2“: Die Sinnlichkeit des Vergeistigten
„Provinzlärm 1“: Entfernte Echos des Daseins

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