Mo, 03.08.2020

In der Gruppentherapie, wo heute Suchtdruck und Suchtverlagerung Thema sind, sage ich, Sucht sei Kompensation für einen empfundenen Mangel. Da in der Abstinenz ein weiterer Mangel hinzukommt, nämlich der an dem vorher (neben den ungesunden Folgen des Konsums) auch entlastend wirkenden Suchtmittel, verlagert sich die Sucht auf ein anderes Mittel, das beide Mängel kompensiert, den ursprünglichen und den durch die Abstinenz neu hinzugetretenen. Der Therapeut kräuselt die Stirn und fragt mich und in die Runde, welches denn der „ursprüngliche“ Mangel sei (und wie eins sich „den Kick auch woanders holen kann“). Interessant, dass ich darauf keine oder ganz viele Antworten weiß. Der Mangel war (und ist) ein allgemeiner, ein weitgreifendes Ungenügen am Leben, dass sich vielfach manifestiert(e). Ich nenne als Beispiel den – in Zeiten der Pandemie noch frapanter gewordenen – Mangel an körperlichen Berührungen. Kaum noch Umarmungen, keine Küssse mehr, keine Zärtlichkeit, keine Möglichkeit zu „schnuppern“. Ja, echte Berührungen, die seien enorm wichtig, stimmt der Therapeut zu. „Sich als Mann und begehrt fühlen“, ergänzt er mit strahlenden Augen. Recht hat er! Auch das. Aber ich weiß noch nicht mal, wie das geht. (Wie bekommt eins Sex?) Wieder zuhause habe ich Männerfantasien, die ich mir aber nicht erlauben mag. Verzicht aus politischen Gründen. Aber eben auch ein weiterer Mangel, Gefühl der Begrenzheit, Gefangenschaft, Verlorenheit (nicht nur in der Unerfülltheit des Begehrens, auch in meinen verbotenen Fantasien). Und dann läuft sie wieder an, meine Ideologie-Mühle rund um das „not for me“ …

((SIE hatte neulich am Telefon benannt, was ihr fehle: Ein Mann mit Auto, Geld und am besten noch Haus, einer, der Sicherheit (auch solche äußere, neben der inneren durch „Wissen, wo’s lang gehen kann“) geben könne. Ich denke mit Schmerzen (und dem alten Gefühl des Ungenügens, daher auch gekränkt), dass ich nichts davon bieten kann, was sie in ihrer seit Monaten andauernden Not braucht. Und dann denke ich, dass ich ihr es natürlich gönnen würde, wenn sie so einen fände. Und das ist dann Suchtverlagerung von der Sehnsucht auf das gute Gefühl des edlen Verzichts auf sie und ihre Liebe. Stoff für einen schlechten Roman …))

>> 03.08.2010
>> 03.08.2000
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