Nur ein Fallschirm

„Hier ist dein Fallschirm“, sagst du und schnallst ihn mir um, bevor du mutig das Steuer ergreifst, die trudelnde Maschine abfängst, dass wir auch ohne Absturz landen könnten. Doch wir wollen nicht landen, wir wollen springen, sag’ ich, frei fallen und erst im letzten Moment die Leine ziehen. „Und wenn ich mich nicht öffne?“, frage ich ängstlich. „Dann öffne ich mich für uns beide“, sagst du, wissend, dass uns beide dein Schirm nicht trägt.

Wir fallen.

Wir fallen.

„Wann ziehst du die Leine?“ – „Noch nicht, denn wir fallen!“

Wir fallen.

Wir fliegen aber auch. Und wir haben Flügel, voll von meinen vom Schreiben abgewetzten Federn, tintenschwarz am Kiel, die dennoch zum Fliegen sich eignen, Auftrieb geben in all ihrer Zerzausung. Und der Schirm über uns, er flattert erst wild, dann entfaltet er sich. Nah am Boden, denn auf den sollen wir kommen. Und stürzen wir, verrenken wir uns die Glieder, gewiss ist, wir werden ankommen.

Sicher Gelandete, wenn auch verstaucht.

„Siehst du?!“, sagst du, als ich den Knöchel mir reibe, der noch schmerzt vom Aufprall auf dich. „Siehst du“, sagst du, wir sind sicher gelandet. Nur unser altes Fluggerät zerschellte, unbemannt. Wir aber liegen im Gras, Angekommene, weil nicht angekommen, weil fliegend weiter zwischen den Halmen. Jetzt als Libellen, stehend in der Luft. Luft hat wie Wasser keine Balken, doch wir schwimmen in der Nachsommerluft wie zwei zappelnde Zeppeline, Unsinkbare, Nicht-Titanics, überquerend all die Atlantike zwischen uns, das Blaue Band erringend. Du flichst es mir in dein Haar. Du blaue Meeresblume.

Wir fallen.

Wir lassen das Fallen zu.

Wir landen. Du sagst: „Siehst du, wir fliegen!“

Wie die Federsamen des Löwenzahns, sagst du, können wir schweben. Und als du das sagst, greife ich zum Schriftsteuerknüppel und schreibe es hin, auf das fallende, längst fällige Blatt, dass es die Spur darauf hinterlässt – vom Fallen, vom Fliegen …

Und während wir fallen, was die unbedingte Folge des Fliegens ist, streiche ich mit dem zarten Ende einer Feder über deine Wange und sage: „Falle ich, fällst du mit mir, lande ich sicher, landest du sicher bei mir.“ Ich find’ den Satz vieldeutig und schön. Du aber breitest die Flügel des Satzes und lässt uns sanft auf die Erde der Gräser gleiten.

Dort liegen wir, schauen zwischen den Halmen blinzelnd den Himmeln zu, wie sie sich regen und schwanken, wie Sterne kreisen um die Nacht, und der Mond zu- und abnimmt. Zwischen solchen uns um uns zu drehen ist unsere Zeit, fallend und fliegend, Ikarus und Daedalus, ängstlicher Passagier und seine Flugbegleitung.

„Ich bin dein Fallschirm“, sagst du und umarmst ihn mir. Und ich sagte und sprach: „Nimm ihn für dich, ich fliege mit dir – auch ohne.“

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