BRB – Be(ing) Right Back

12 Fotografien / found footage / 30 x 20 cm / handelsüblicher Fuji Colorprint
Idee und Inszenierung: ögyr (Jörg Meyer) / September 2022

BRB (Be Right Back) ist ein typisches Kürzel in Online-Chats. Es bedeutet kurze Abwesenheit – „Bin gleich zurück“ –, also dass der/die Chat-Partner*in den Chat nicht beenden möchte, sondern nur kurz mal weg von Tastatur und Kamera/Bildschirm ist, z.B. um sich einen Kaffee zu holen.

In dieser Foto-Serie sind Screenshots zu sehen, die als found footage auf chaturbate.com aufgenommen und nur leicht bearbeitet (z.B. Entfernung von Schriftzügen oder Logos) wurden.

Chaturbate (Kofferwort aus „Chat“ und „Masturbate“) ist ein Cybersex-Portal, auf dem sich Frauen (seltener auch Männer) bei sexuellen Handlungen selbst filmen und dies live streamen. Die User können dabei nicht nur zuschauen, sondern auch mit den Broadcastern (und untereinander) chatten, öffentlich oder (dann kostenpflichtig) auch „pvt“ (private). Ferner können die User per (kostenpflichtigem) „tip“ einen „lush“ (ans Internet gekoppelter Vibrator) steuern.

Die „Sitzungen“ dauern z.T. mehrere Stunden, zwischendurch machen die Cam Girls immer mal wieder Pausen, während derer sie die Kamera weiterlaufen lassen und den kurz verlassenen Arbeitsplatz zeigen – ein zerwühltes Bett oder einen Gamer-Stuhl, z.T. wird „BRB“ über das Standbild laufend eingeblendet.

Die hier präsentierte Arbeit beschäftigt sich mit eben diesen „Leerstellen“. Sie zeigt die Arbeitsplätze als benutzte Orte, als „lost places“, die kurzzeitig ihrer Funktion enthoben sind. Was passiert im Betrachter, wenn er auf die Fortsetzung der Show wartet? Worauf wartet er? Was leitet er aus der vergangenen und noch in Spuren sichtbaren Nutzung des Ortes her, was erhofft er sich? Was fantasiert er?

Die hier in ihrer Pause abgebildeten Orte sind Sehnsuchtsorte. Sie sind banale und zugleich geheimnisvoll erregende, vor allem aber leere Bühnen. Projektionsflächen für das, was an ihnen geschehen ist und geschehen wird. Sie wirken privat, intim, gaukeln Authentizität und Individualität vor, gleichzeitig sind sie teilweise sehr ähnlich inszeniert – oder auch: von den Spuren der Inszenierung in ihnen, die kurz pausiert, gezeichnet.

Eine weitere (Über-/Meta-)Inszenierung besteht darin, dass sie hier an einem Kunstort dekonstruktiv re-inszeniert werden.

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Do, 31.12.2020

Das Projekt „di.gi.arium 2020“ ist insofern gescheitert, als es in den letzten beiden Quartalen zunehmend ausdünnt. Es ist gelungen insofern, als es sich nunmehr als nicht geeignete Form erwiesen hat, jenseits des Aufschreibens wieder ins Schreiben zu kommen, was ein trockener Rückfall gewesen wäre.

Zum Schluss verzeichne ich dennoch die RESTE:

1. Nicht nur ich, noch viel mehr ist aus dem Leim gegangen.

2. Meine Passivität zuweilen in sozialer Interaktion ist destruktiv und wirkt dadurch zugleich aggressiv. Zum Beispiel bin ich noch im Widerstand brav.

3. Stark bespieltes Spielzeug: Einesmal Weihnachten bekam ich als Geschenk das Modell eines Astronauten, der gehen konnte, wackelte so wie die auf dem Mond bei 1/6 Schwerkraft. Schon am 2. Weihnachtstag ging der kaputt und humpelte dann nur noch. Das Spielzeug wurde zwar umgetauscht und so erneuert, dennoch erinnere ich das starke Schuldgefühl, dass ich’s kaputt gespielt hatte. Ebenso schon der schmerzhafte Gedanke, dass nichts von Dauer ist, alles instabil. Ein ähnliches Gefühl beschlich mich viel später, als sich chronische Krankheiten einstellten wie KHK, Depression, unaufgeräumtes Chaos. Das Gefühl, ich hätte auch mich selbst irreversibel kaputtgespielt.

4. Wieherum ist es? Ich schreibe die Texte so, weil ich so bin – vs. Ich bin so, weil ich die Texte so schreibe.

5. Eine Art Erkenntnis aus dem Jahr: Das Schöne mag es nicht, wenn ich es schön nenne. Das Wahre weiß nicht, dass es wahr ist. Und das Gute ist keine Antwort auf die Frage: „Wie bist du hier?“

>> 31.12.2010
>> 31.12.2000
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Di, 24.11.2020

Traum: Von einem Autor, dessen mehrfach aufgelegte Bücher sich eigentlich recht gut verkauften, wird bekannt, dass niemand seine Texte – es handelt sich um Lyrik – kennt, und wenn, dann nicht verstanden hat. Seine Bücher, so wird jetzt festgestellt, stehen in den Regalen vieler Menschen, aber in einer Umfrage geben ausnahmslos alle verschämt zu, sie hätten sie zwar gekauft, aber niemals gelesen, nicht mal drin geblättert. Auch die Rezensionen sind alle gefaket, beruhen auf alleinigem Hörensagen, beziehungsweise die Rezensent*innen schrieben von einander ab, begründeten das mit wenig Zeit und damit, dass so eine Rezension ja auch immer schlechter bezahlt würde. Auch der Autor – Lyriker – zeigt auf Befragen wenig Textkenntnis seiner eigenen Werke. Keines seiner Gedichte kann er auswendig. Er gibt an, sich zwar zu erinnern, dass er diesen oder jenen Text geschrieben hat, weiß auch ungefähr wann, habe aber zu seinen Texten ein Gefühl der Fremdheit. „Vielleicht habe ich sie nur geträumt“, sagt er. In einer Fachkonferenz über den Dichter wird dieses Phänomen, was „in der Lyrik, gerade der modernen, gar nicht mal so selten sei“, so einer der Fachleute, verhandelt. Die Frage steht im Raum, ob Texte, die niemand kennt, gelesen oder gehört hat (lediglich von ihnen), überhaupt vorhanden seien. Immerhin seien sie zuhanden, wird mit schlauaugenbrauenhochgezogenem Bezug auf Heidegger eingewandt, ontologisch sei das freilich, zugegeben, ein recht schwaches Argument.

Ich, Teilnehmer der Konferenz, aber nur berichtend für die Zeitung, werfe ein, dass ich davon ausginge, dass Texte wie überhaupt Dinge in der Welt seien, selbst wenn niemand sie wahrnehme. Es gebe mehr Dinge zwischen Himmel und Erde als … und so weiter. Insbesondere sei das der Fall, wenn es sich um Texte handele, die sich wie bei namentlichem Dichter so sehr um das Unsagbare und die Unsagbarkeit an sich drehten. Den Texten namentlichen Dichters sei also „ihr Verschwinden im ungelesen und ungehört, besser noch unerhört Sein immer schon immanent“. Insofern könne eins – auch im Sinne der guten Verkäufe – von Erfolg sprechen, wenn das Unsagbare auch unlesbar, zumindest ungelesen und damit „erlesen“ sei. Ich versteige mich zu der These, das poetologische Prinzip solcher Texte sei, dass in ihrem Geschaffenwerden bereits das Autodafé, ihre Ver-, besser Zernichtung „schlummere“. Das sei ihre immer mitzudenkende ontologische Dialektik. Das Wort „schlummern“ hätte ich dabei mit Bedacht gewählt und mit Anspielung darauf, dass Schlaf, wie es so schön heiße, ein „kurzer, kurzer Tod und Tod ein langer, langer Schlaf“ sei.

Gestern wäre Paul Celan 100 Jahre geworden, und ich trinke nach dem Aufwachen aus dem Traum über den Text in der nebligen Frühe einen schwarzen löslichen Kaffee mit viel Soja-Milch.

>> 24.11.2010
>> 24.11.2000
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So, 15.11.2020

Traum: „Seeanemone oder Weihnachtsstern?“, fragt SIE betreffs ihrer Zehenstellung – eingerollt oder gespreizt. Welche ich als Fußfetischist bevorzuge? Wortfelder dafür sind auch Verschlingung, Einsaugen, Fassen versus Loslassen und abwehrende Warnung der Hand mit fünf gespreiteten Fingern. Es geht um Berührung und deren Intensität, ergriffen oder flüchtig angetastet. IHRE Berührung meiner ist zunächst wie zufällig, so wie sie beim ersten Besuch (am So, 14.01.2018, vor nunmehr bald drei Jahren), als wir auf ihrem Sofa saßen und ich ihr die Benutzung der Videokamera erklärte, sich nach hinten abstützte, ihr Arm in der Nähe meines vorgebeugten Rückens, und sie mit den Fingerrücken zärtlich über meine Lendenflanke strich. In jenem frühen Stadium unserer „Beziehung“ war eine solche Berührung eigentlich noch nicht erlaubt und schien mir in dem Moment so angenehm verwegen, dass ich eine Gänsehaut bekam. Und später meine Verwegenheit, als ich im Kino meine Hand aus ihrer löste (wir hielten gelegentlich schon Händchen) und ihr so auf den Oberschenkel legte, dass die beabsichtigte weitere Bewegung meiner Hand schon deutlich war, nämlich hin zur Innenseite ihres Schenkels. Wie also die gegenseitigen Berührungen mit der Zeit „seeanemoniger“, eindeutiger wurden und doch immer die Geste der Antastbarkeit behielten.

Jetzt im Traum ein ähnliches Herantasten. Ich streiche ihr eine Haarsträhne hinters Ohr, vermeintlich nur, um ihr wahrnehmbarer etwas hineinflüstern zu können. Dabei kommen meine Lippen ihrem Ohr nah, bewegen sich dann aber in Richtung ihres Halses. Ich kann den Duft ihrer Haut schnuppern, ihn deutlich unterscheiden von dem Shampoo-Duft ihres Haares. Ich verwende das Wort „schnuppern“, das in seiner Niedlichkeit die nach wie vor Vorsichtigkeit der Berührung anspricht.

Später müssen wir auf dem Rolltreppenabstz einer U-Bahn-Station einander loslassen und Züge nehmen, die in unterschiedliche Richtungen fahren. Wir whatsappen uns, dass es „sehr schön“ oder auch – Steigerung, verwegeneres Wort – „so schön“ gewesen sei.

Im Aufwachen bemerke ich, wie sehr mir derart intensiv vorsichtige Berührungen jetzt seit Monaten fehlen. Nein, es sind sogar Jahre schon, noch lange vor dem Lockdown. Das ist eine kurze, gierige, verzweifelte Sehnsucht mit dem engen Schmerz in der Brust über das Fehlen des SIE Berührens und von IHR berührt Werdens, gepaart mit dem wohligen Schauer des „noli me tangere“. Hautbeben, Zittern vor erregter Erwartung.

>> 15.11.2010
>> 15.11.2000
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Mi, 11.11.2020

„Gutenmorgen. Wie sind Sie hier?“ Befindlichkeitsrunde, auch „Blitzlicht“ genannt. Ich bin wieder hier, nach einem Monat, auf den Tag genau. Währenddessen, also des Schweigens, des Nicht-Schreibens, hatte ich oft das Gefühl, eben nicht hier zu sein, insofern auf das „Wie?“ auch keine Antwort. Ich bin nachlässig mit meinen sozialen Kontakten. Wie wäre es mit einer kleinen Aufmerksamkeit? Aber Achtsamkeit ist anstrengend. Also mit einer kleinen Anstrengung? Sie können auch vom „Was?“ berichten, falls Ihnen zum „Wie?“ gerade nichts einfällt. Ich bin angefasst von dem, was SIE berichtet. Von IHREN Nachrichten aus dem Bunker. Angefasst ist ein treffender Name für mein Gefühl, auch wenn es zunächst nur eine Vokabel aus meinem aktiven Wortschatz ist – und auch eine Projektion. Denn das Wort ist keine haptische Berührung, obwohl es ja insofern sehr begrifflich ist, als es eine starke Berührung bezeichnet, ein Fassen, ein Hinlangen, einen Griff. Etwas ebenso Vorsichtiges wie deutlich Spürbares. Dennoch lediglich im Wort, semantisch, kaum lautlich, also gedacht, nicht gespürt, sinnhaft statt sinnlich.

In der Runde der in Therapie Befindlichen löste meine Suche, mein Ringen um das treffende Wort seinerzeit zuweilen einige Ratlosigkeit aus. Ob ich es nicht „weniger verklausuliert“ sagen oder beschreiben könne. Und ja, ich sage und schreibe nicht, es ist Beschreibung. Ich umrunde das Gefühl, kreise es ein, berühre es aber noch nicht. Einst hatte ich auch von der Antastbarkeit geschrieben. Ich wollte – und will – antastbar sein. Empathie mit Worten. Angetastet von Worten, indem ich sie betaste. Allerdings auch Stochern im Nebel des Morgens, eine Stunde nach dem Aufwachen.

Ich hatte geträumt von einem Boot, ich nannte es damals „Nachen“, das ich über einen Teich, ich nannte ihn damals „Weiher“, setzte. Es war beladen, „es kommt ein Schiff geladen, bis an den höchsten Bord“, mit Johannisbeeren, die, indem es schwankte, ich nannte es damals „Schwojen“, über Bord kullerten und ins Wasser fielen, ich nannte es „tropften“, dort Ringe erzeugten wie Regen auf dem stillen Wasser, ich nannte es jetzt „Tränen“.

>> 11.11.2010
>> 11.11.2000
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So, 11.10.2020

Inzwischen eine Seltenheit wie das Schreiben an sich, aber mal wieder für KN @ the state of art:

Zwischen Titanic und Tinnitus

Ein Ohr auf zwei Klanginstallationen beim Frequenz-Festival

Abstand zu halten im engen Gang zum Sinneraum im Musiculum, wo am ersten Tag des Frequenz-Festivals für jeweils nur sechs Zuhörer die Uraufführung von Julia Mihálys audio-visueller Installation „Oh, das Universum, denken sie“ läuft, ist so schwierig wie in einem Rettungsboot. Die Notrufe von letzteren und Funksprüche von Schiffen, die zu Hilfe eilen, aber dann im rettenden Hafen abgewiesen werden, hört man schon von draußen.

Weit mehr als die Opfer des Untergangs der Titanic sind bei der Flucht über das Mittelmeer ertrunken, eine tägliche Tragödie, vor der wir im sicheren Europa oft die Augen verschließen. Wie die Strand-Urlauber, über die sich Sibylle Berg in ihrer Satire „Helges Leben“ bitter lustig macht, wenn sie im Meer die Weite des Universums genüsslich erahnen, was der Installation den Titel gab. Denjenigen, die womöglich irgendwann sagen werden, sie hätten nichts davon gewusst, will Mihály die Ohren öffnen – mit bedrohlichem und das Gehör bedrängendem Grummeln von Schiffsdieseln und dem tödlichen Meer.

Sinnbild der Hoffnung in der Verzweiflung in Julia Mihálys audio-visueller Installation „Oh, das Universum, denken sie“ (Foto: Julia Mihály)

Doch Wasser kann auch Leben spenden. So sehen wir im Kontrast zum Sound auf der Leinwand ein kleines Pflänzchen, das in der Nische einer Mauer wächst, bewässert von einer Pfütze. Ein Sinnbild für die Hoffnung der Flüchtenden auf ein besseres Leben jenseits der Mauer um Europa.

In großer Not war auch Beethoven, als er ab 1818 fast ertaubt war. Seine Musik hörte er nur noch gestört durch einen Tinnitus, mit seiner Umgebung verständigte er sich über die „Konversationshefte“ schriftlich. Beides verbinden die Designerin und Kalligrafin Marleen Krallmann und die Komponistin und Klangkünstlerin Maya Shenfeld in ihrer Performance „Mute Sound World – Talking with Beethoven“.

Kalligrafie und Klang korrelieren in „Mute Sound World – Talking with Beethoven“ von Marleen Krallmann (vorne) und Maya Shenfeld. (Foto: ögyr)

Shenfeld verfremdet Beethovens Musik elektronisch zu jenem dumpf dröhnenden Klangbrei, den er durch den Filter der beinahe Taubheit gehört haben mag. Ganz kurz flammen jedoch die reinen Klänge auf, weil Beethoven die Musik zwar nicht mehr hören, aber immer noch denken konnte.

Dazu schreibt Krallmann mit einem langen Pinsel, wie man ihn von der Kalligrafie des chinesischen Shodō (Weg des Schreibens) kennt, Worte auf eine endlose Papierrolle, etwa „Schwerhörigkeit“ oder „Ungenügen“. Die Zeilen überlappen sich dabei zur Unleserlichkeit und die Schrift wird zum Ornament. Sie verblasst, wenn dem Pinsel die Farbe ausgeht. Der visuelle Eindruck spiegelt so das Verschwinden der Klänge im Ohrgeräusch. Ein bewegendes Bild synästhetischer Sinnlichkeit – selbst (oder gerade) im Schwinden der Sinne.

Infos und weitere Termine: www.frequenz-festival.de.

>> 11.10.2010
>> 11.10.2000
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Mo, 14.09.2020

Hast du Worte? Dafür, dass dieses wie jenes so fern wirkt, die Sehnsucht, SIE, die Menschen überhaupt, einschließlich des ICHs, und ja, die Worte, die Bilder, das Tun, die Antastbarkeit. Dass im Neuanfang schon wieder so viele Aussetzer sind, dass neu angesetzt werden muss. Hast du Worte für die Verhinderung, das andauernd prokrastinierende „vor Diktat verreist“ und doch da geblieben? Ja, du hast Worthülsen, weise wie „Es ist nicht, wie es bleibt“ (Heiner Müller), beraubt dennoch ihrer ursprünglich utopischen Protestation, denn es es wird auch nicht (mehr), wie es bleibt.

Gestern spät abends, schon nachts, war es auf dem Balkon mitten in der Stadt ländlich still und lichtlos (was ein Unterschied zu dunkel ist). Da konnte ich den nichts sagenden (keinesfalls nichtssagenden) Stillstand synästhetisch schnuppern.

>> 14.09.2010
>> 14.09.2000
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Do, 27.08.2020

SIE hat offenbar eine besondere Antenne, denn zum wiederholten Mal stellt sie zur richtigen Zeit (genau dann, wenn mich diese Frage auch umtreibt) die richtige Frage: „Warum schreibst du Tagebuch?“ (Umso virulentere Frage, als mir das tägliche Aufschreiben so schwer fällt. Warum setze ich mich damit unter den Druck des Unwillens?)

Antworten:

  1. Das d.day-Projekt ist eine Art Langzeitbeobachtung mit auto-dokumentarischem Wert. In Fortsetzung der di.gi.arien von 2000 und 2010 wollte ich 2020 nicht aussetzen.
  2. Das d.day-Projekt ist mir vertraut in seinem abschätzbaren (Schreib-) Aufwand. Da ich seit der Abstinenz unter Schreib- und überhaupt Kreativitätshemmung leide, schien es mir wegen dieser Vertrautheit des Modus und der Form das geeignete Feld, um überhaupt wieder ins Schreiben zu kommen. Ich habe nichts zu erzählen, allenfalls noch von mir selbst in der besonderen Situation der fortgesetzten Abstinenz. Und das lässt sich allenfalls in einem Tagebuch erzählen.
  3. Eng verbunden mit dem d.day-Projekt ist das Konzept „pretty public privacy“ (ppp). Es war 2000, als es noch keine Social Media gab, ungemein innovativ, ja sogar revolutionär, was Selbstinszenierung und Medialisierung der Person und die damit verbundenen individuellen und gesellschaftlichen Fragen betrifft. Inzwischen ist ppp von den Social Media längst eingeholt, sogar überholt. Dennoch ist interessant, wie sich ppp in Parallelität und Konkurrenz zu den Social Media entwickelt, durchaus auch in einer Bewegung zurück in die Privatheit (hier, indem das di.gi.arium bestimmte Themen ausspart, „für sich behält“). Insofern ist das d.day-Projekt ein Soziales Experiment (in Tradition Brechts), das noch nicht beendet ist, ein unvollendetes Projekt (wie die Moderne). Ich sah daher eine gewisse Verpflichtung mir und meinem Werk gegenüber, das d.day-Projekt fortzusetzen.
  4. Tagebuch schreiben (wobei ich im diesem Zusammenhang lieber von aufschreiben spreche, also nicht im Sinne der Schöpfung eines Textgebildes, sondern eher des schriftlichen Protokolls) schafft eine gewisse äußere Struktur des Seins und Erlebens. Im Zusammenhang der Therapie war es stets wichtig, Strukturen jenseits der Struktur Sucht zu etablieren. Das d.day-Projekt erzeugt zumindest äußerlich so eine Struktur, auch wenn die sehr wahrscheinlich (wie sich mehr und mehr zeigt) von den alten Strukturen vergiftet ist.
>> 27.08.2010
>> 27.08.2000
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Mi, 26.08.2020

Weiter Prokrastination – in Wikipedia. Ich lese die Einträge zu gerade auf dem TV-Schirm befindlichen Schauspieler*innen und Moderator*innen.

Später Nachdenken über Mangel vs. Maßlosigkeit als Zentrum der Sucht, wie eines das andere bedingt und sich aneinander steigert.

>> 26.08.2010
>> 26.08.2000
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Di, 25.08.2020

Das Wissen am Morgen, den d.day-Eintrag von gestern noch aufschreiben zu müssen, oder heute Abend den von heute, ist wie ein Memotekel (wortspiele ich immerhin noch), ein Damoklesschwert. Denn zur Zeit ist nicht nur meine Kreativität, sondern auch meine Wahrnehmungsfähigkeit ermüdet. Am Tag Prokrastination selbst der Prokrastination. Denn sogar Aufschieben ist mir zu mühsam. Wenn Arbeitsminuten, dann solche, die mit eigener Kreativität wenig zu tun haben, allenfalls Kreativität anderer: Ich stelle einen Literaterturtelefonbeitrag fertig.

KRISE, an der kritisch ist, dass ich sie nicht als kritisch empfinde. Flüssiges Verdrängen. Ich scheue nachzuforschen, woran es liegt, dass Schreiben nicht mehr geht – und nun nicht mal mehr Aufschreiben. Es kann nämlich kein allzu dicker Knoten sein, der da zu durchschlagen ist, er ist analytisch und therapeutisch bereits aufgedröselt. Ich wünschte, letzteres wäre nicht der Fall, dann hätte ich wenigstens etwas, das ich aufschreiben oder worüber ich sogar schreiben könnte.

>> 25.08.2010
>> 25.08.2000
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